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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner
Autoren: Jurek Becker
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plötzlich:
    »Sag mal, stimmt es eigentlich, daß du …«
    Weiß der Teufel, wer es ihr erzählt hat, ich höre das Mitleid in ihrer Stimme und werde verrückt. Ich gehe ins Bad, setze mich in die Wanne und fange an zu singen, damit ich nicht etwas tue, wovon ich genau weiß, daß es mir nach fünf Schritten leid tut.
    Als ich nach einer halben Stunde wiederkomme, fragt sie mich verwundert, was ich denn auf einmal hatte, und ich sage  »nichts« und gebe ihr einen Kuß und mache das Licht aus und versuche einzuschlafen.
    Die ganze Stadt liegt im Grünen, die Umgebung ist einzigartig, die Parks sind gepflegt, jeder Baum lädt mich ein zu Erinnerungen, und ich mache ausgiebig Gebrauch davon.
    Aber wenn er mir in die Augen sieht, der Baum, um nachzuschauen, ob sie sich verklären, dann muß ich ihn enttäuschen, denn er ist es nicht.

    Jakob sagt es Mischa.
    Er ist nicht mit der Absicht auf den Güterbahnhof gekommen, es irgend jemand zu erzählen, ebensowenig hat er sich vorgenommen, es keinem zu erzählen, er ist ohne Absichten auf den Bahnhof gekommen. Er wußte, daß es schwer sein würde, die Nachricht für sich zu behalten, kaum zu machen, immerhin handelt es sich um das Beste vom Besten, gute Nachrichten sind dazu da, weitergegeben zu werden.
    Andererseits weiß man, wie das ist, der Informant wird für alle Folgen verantwortlich gemacht, die Mitteilung wird mit der Zeit zu einem Versprechen, du kannst nichts dagegen tun. Am entgegengesetzten Ende der Stadt wird es heißen, die ersten Russen seien schon gesichtet worden, drei junge und einer, der wie ein Tatare ausgesehen hat, die alten Weiber werden darauf schwören und die besorgten Väter. Man wird sagen, man weiß es von dem, und der weiß es von dem, und irgendeiner in der Reihe weiß, daß es von Jakob kommt. Von Jakob Heym? Man wird Erkundigungen über ihn einholen, man muß alles ganz akkurat nachprüfen, was mit dieser wichtigsten aller Fragen in Zusammenhang steht, ein ehrbarer zuverlässiger Mensch, macht einen soliden Eindruck, früher soll er hier irgendwo eine bescheidene Restauration besessen haben. Es sieht aus, als dürfte man sich freuen.
    Dann werden Tage vergehen, wenn Gott es für nötig hält Wochen, dreihundert Kilometer oder fünfhundert sind ein weites Stück Land, und die Blicke, die Jakob begegnen, werden nicht mehr so freundlich sein, nicht mehr so. Auf der anderen Straßenseite wird getuschelt werden, die alten Weiber werden sich versündigen und ihm Schlechtes wünschen, das Eis, das er verkauft hat, wird allmählich schon immer das schlechteste in der ganzen Stadt gewesen sein, sogar sein berühmtes Himbeereis, und seine Kartoffelpuffer noch nie ganz koscher, das kann ihm passieren.
    Jakob schleppt mit Mischa Kisten zu einem Waggon.
    Oder nehmen wir eine andere Möglichkeit. Heym will gehört haben, daß die Russen auf dem Vormarsch sind, schon vierhundert Kilometer vor der Stadt. Wo will er das denn gehört haben? Das ist es ja eben, auf dem Revier. Auf dem Revier?! Ein entsetzter Blick kann folgen, ein langsames Kopfnicken kann antworten, ein Nicken, das den Verdacht bestätigt. Das hätte man ihm nicht zugetraut, gerade Heym nicht, niemals, aber so kann man sich in einem Menschen täuschen. Und das Ghetto kann um einen vermeintlichen Spitzel reicher sein.
    Jedenfalls ist Jakob ohne feste Absichten auf den Bahnhof gekommen. Schön wäre, wenn sie es schon ohne ihn wüßten, wenn sie ihn mit der Neuigkeit empfangen hätten, das wäre das beste. Er hätte sich mit ihnen gefreut, er hätte nicht verraten, daß es drei Leute gibt, die schon unterrichtet sind, Rosenblatt, er und Piwowa, er hätte den Mund gehalten, sich mit ihnen gefreut und höchstens nach Stunden gefragt, von wem die Nachricht denn stammt. Aber gleich als Jakob auf das Gelände gekommen ist, hat er gesehen, daß sie es noch nicht wissen, schon auf ihren Rücken hat er es gesehen. Der Glücksfall ist nicht eingetreten, man konnte auch nicht mit ihm rechnen, zwei Glücksfälle in so kurzer Zeit erlebt höchstens Rockefeller am Sonntag.
    Sie tragen Kisten zu einem Waggon. Jakob ist beim Tragen kein sonderlich begehrter Kompagnon, niemand reißt sich um ihn, beim Pufferbacken wachsen die Riesen nur mühsam, und die Kisten sind schwer. Der Bahnhof ist voll von solchen Leuten, um die sich keiner reißt, die Riesen muß man mit der Lupe suchen. Um die Riesen reißt man sich, aber die lassen nicht um sich handeln, die tragen lieber zusammen. Kommt mir nicht und redet von
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