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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner
Autoren: Jurek Becker
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Scheit für Scheit in Jakobs Keller auf kommende kalte Zeiten. Neuer Nachschub an Zimmergenossen ist bisher nicht gekommen, die Vorräte sind aufgebraucht, verflucht oder gesegnet seien alle Katzen und Aufseher, jedenfalls mochten sie sich nicht. Rosenblatt schweigt wenigstens, wenn er zu Hause ist, er sitzt mit geschlossenen Augen auf dem Bett und betet, er geht als letzter schlafen und steht als erster auf, weil seine Debatten mit Gott jede Menge Zeit verschlingen. Diese Gewohnheit hat er sogar nach seinem Tod nicht aufgegeben, doch er schweigt wenigstens, sitzt und schweigt mit geschlossenen Augen und riskiert höchstens mal einen Blick.
    Piwowa ist streitsüchtig. Er ist als letzter einquartiert worden und tut so, als wäre er der erste hier gewesen. Richtet alles neu ein, muß mit den Füßen zum Fenster liegen, man muß vor ihm die Brotration verstecken. Sagen wir es ruhig, Piwowa hat vorher im Wald gearbeitet, als Wilddieb. Schon sein Vater war ein Wilddieb, er selbst war ein noch besserer, Kinder hat er keine.
    Also, Jakob kommt nach Hause. Der Tag war aufreibend, viel erlebt, durchgemacht, ausgestanden, gezittert, gehört.
    Freut euch, Brüder, werdet verrückt vor Freude, die Russen sind zwanzig Kilometer vor Bezanika, wenn euch das was sagt!
    Mach die Augen auf, Nathan Rosenblatt, hör auf zu streiten, Piwowa, die Russen sind unterwegs, begreift ihr nicht, zwanzig Kilometer vor Bezanika! Doch Rosenblatt betet weiter, Piwowa liegt weiter mit den Füßen zum Fenster, mögen sie liegen und streiten und beten und tot sein, Jakob ist zu Hause, und die Russen sollen sich beeilen.

    Wir wollen jetzt ein bißchen schwätzen.
    Wir wollen ein bißchen schwätzen, wie es sich für eine ordentliche Geschichte gehört, laßt mir die kleine Freude, ohne ein Schwätzchen ist alles so elend traurig. Ein paar Worte nur über fragwürdige Erinnerungen, ein paar Worte über das flinke Leben, wir wollen einen schnellen Kuchen backen mit bescheidenen Zutaten, nur ein Stückchen davon essen und den Teller wieder zur Seite schieben, bevor uns der Appetit auf anderes genommen ist.
    Ich lebe, das ist ganz unzweifelhaft. Ich lebe, und kein Mensch kann mich zwingen, zu trinken und mich an Bäume zu erinnern und an Jakob und an alles, was damit zu tun hat.
    Im Gegenteil, man bietet mir schon etwas, ich soll mir ein paar schöne Tage machen, gelebt wird nur einmal, mein Lieber.
    Wo ich hinsehe Abwechslung, neue heitere Sorgen mit ein wenig Unglück dazwischen, Frauen, das ist noch nicht vorbei, aufgeforstete Wälder, gepflegte Gräber, die zu jedem Anlaß solche Mengen an frischen Blumen bekommen, daß es fast schon nach Verschwendung aussieht. Ich will nicht unbescheiden sein. Piwowa, den ich niemals gesehen habe, war unbescheiden, man mußte vor ihm den Wildbestand und die Brotration verstecken, aber ich bin nicht Piwowa.
    Chana, meine streitsüchtige Frau, hat einmal zu mir gesagt:
    »Du irrst dich«, so hat fast jeder Satz an mich angefangen, »ein Mensch ist dann bescheiden, wenn er zufrieden ist mit dem, worauf er ein Recht hat. Nicht mit weniger.«
    So gesehen, muß ich sehr zufrieden sein, manchmal fühle ich mich sogar beschenkt, die Leute sind freundlich, zuvorkommend, geben sich alle Mühe, geduldig auszusehen, ich kann mich nicht beklagen.
    Manchmal sage ich, das war die ganze Geschichte, ich danke dir, daß du zugehört hast, du brauchst mir nichts zu beweisen.
    »Will ich auch gar nicht. Aber du mußt wissen, daß ich neunundzwanzig …«
    »Du brauchst mir überhaupt nichts zu beweisen!« sage ich noch einmal.
    »Ja doch. Aber als der Krieg zu Ende war, war ich gerade erst

    …«
    »Leck mich am Arsch«, sage ich, stehe auf und gehe. Nach fünf Schritten werde ich wütend über mich selber, weil ich so grob geworden bin, so unnötig ausfallend, und er hat sich nichts dabei gedacht. Aber ich drehe mich nicht um und gehe weiter.
    Ich bezahle beim Kellner meine Rechnung, im Hinausgehen sehe ich über die Schulter zurück zum Tisch und sehe, daß er verständnislos dasitzt, was ist in mich gefahren, und ich schließe die Tür hinter mir und will es ihm nicht erklären.
    Oder ich liege mit Elvira im Bett. Damit das geklärt ist, ich bin sechsundvierzig, einundzwanzig geboren. Ich liege mit Elvira im Bett, wir sind in einer Fabrik beschäftigt, sie hat die weißeste Haut, die ich je gesehen habe. Ich glaube, wir werden einmal heiraten. Wir atmen noch schwer, wir haben noch nie darüber gesprochen, da fragt sie mich
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