Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner
Autoren: Jurek Becker
Vom Netzwerk:
niemand.
    »Geh rein«, sagt der Mann und verschwindet in seiner Tür, als Jakob die Klinke heruntergedrückt hat.
    Jakob im Zimmer des Wachhabenden, er bleibt an der Tür stehen, die Mütze hat er, seit er in den Scheinwerfer geraten ist, noch nicht wieder auf dem Kopf gehabt. Der Wachhabende ist ein recht junger Mann, höchstens dreißig. Er hat dunkelbraunes, fast schwarzes Haar, das sich leicht wellt.
    Sein Dienstgrad ist nicht zu erkennen, er ist im Hemd, seine Jacke hängt so an einem Wandhaken, daß man die Schulterstücke nicht sehen kann. Über der Jacke hängt das Lederkoppel mit dem Revolver. Das ist irgendwie unlogisch, eigentlich müßte es unter der Jacke hängen, man macht wohl zuerst das Koppel ab und zieht dann die Jacke aus, aber es hängt darüber. Der Wachhabende liegt auf einem schwarzen Ledersofa und schläft. Jakob glaubt, daß er fest schläft, Jakob hat schon viele Leute schlafen hören, er hat ein Ohr dafür. Er schnarcht nicht, doch er atmet tief und gleichmäßig, Jakob muß sich auf irgendeine Weise bemerkbar machen. Gewöhnlich räuspert man sich, aber das geht nicht, das tut man, wenn man zu guten Bekannten kommt. Das heißt, wenn man zu einem ganz guten Bekannten kommt, da räuspert man sich auch nicht, da sagt man »wach auf, Salomon, ich bin da«, oder man tippt ihm einfach auf die Schulter. Aber Räuspern geht trotzdem nicht, es liegt ungefähr auf halbem Wege zwischen hier und Salomon.
    Jakob will gegen die Tür klopfen, läßt die Hand sinken, er sieht, daß auf dem Schreibtisch eine Uhr steht, mit dem Rücken zu ihm. Er muß wissen, wie spät es ist, es gibt nichts, was er jetzt so dringend wissen muß. Die Uhr zeigt sechs Minuten nach halb acht, Jakob geht leise wieder zu der Tür zurück.

    Sie haben sich einen Spaß mit dir gemacht, oder nicht sie, der eine bloß, hinter dem Scheinwerfer, der hat sich einen Spaß mit dir gemacht, und du fällst darauf rein.
    Jakob hat noch vierundzwanzig Minuten Zeit, wenn man anständig ist, sogar vierundzwanzig Minuten plus die Zeit, die ihn der Aufenthalt hier schon kostet. Er klopft immer noch nicht, er erkennt das schwarze Ledersofa, auf dem der Wachhabende liegt. Er selbst hat darauf schon gesessen, es hat Rettig gehört, dem Makler Rettig, einem der reichsten Männer der Stadt. Jakob hat sich im Herbst fünfunddreißig Geld bei ihm geborgt, zu zwanzig Prozent Zinsen, als der ganze Sommer so kühl war, daß man kaum Eis verkaufen konnte. Die Einkünfte waren klein wie noch nie, nicht mal sein berühmtes Himbeereis ist gegangen, Jakob mußte schon im August mit den Puffern anfangen, hatte aber so früh noch kein Geld für die Kartoffeln beisammen und mußte borgen. Und auf dem Sofa hat er im Februar sechsunddreißig gesessen, als er Rettig das Geld zurückgebracht hat. Es hat bei ihm im Vorzimmer gestanden, Jakob hat eine Stunde darauf gesessen und auf Rettig gewartet.
    Er hat sich noch über die Verschwendung gewundert, aus dem Leder hätte man bequem zwei Mäntel oder drei Jacken machen können, und dann im Vorzimmer. Der Wachhabende dreht sich auf die Seite, seufzt, schmatzt ein paarmal, aus seiner Hosentasche rutscht ein Feuerzeug und fällt auf die Erde.
    Jakob muß ihn jetzt unbedingt wecken, es wäre nicht gut, wenn er aufwacht, ohne daß Jakob ihn weckt. Er klopft von innen gegen die Tür, der Wachhabende sagt »ja?«, bewegt sich, schläft weiter. Jakob klopft noch einmal, kann man denn so fest schlafen, er klopft stark, der Wachhabende sitzt, bevor er richtig aufgewacht ist, reibt sich die Augen und fragt: »Wie spät ist es denn?«

    »Es ist einige Minuten nach halb acht«, sagt Jakob.
    Der Wachhabende ist fertig mit dem Augenreiben, sieht jetzt Jakob, reibt sich noch einmal die Augen, weiß nicht, ob er böse sein soll oder lachen, das hat es überhaupt noch nicht gegeben, das glaubt einem ja kein Mensch. Er steht auf, nimmt das Koppel vom Haken, die Jacke, zieht sie an, bindet das Koppel um. Er setzt sich hinter den Schreibtisch, lehnt sich zurück, streckt beide Arme weit von sich.
    »Was verschafft mir die Ehre?«
    Jakob will etwas antworten, er kann nicht, der Mund ist so trocken, so sieht also der Wachhabende aus.
    »Nur keine falsche Scham«, sagt der Wachhabende, »immer raus mit der Sprache. Wo brennt’s denn?«
    Im Mund sammelt sich ein wenig Spucke, das ist ja ein freundlicher Mensch, vielleicht ist er neu hier, vielleicht kennt er gar nicht den schlechten Ruf des Hauses. Jakob kommt für einen Augenblick in den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher