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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner
Autoren: Jurek Becker
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liegt vor dir, eine Lust, ihn zu betreten. Dem Scheinwerfer ist das Warten zu lang geworden, er vergnügt sich irgendwo, steht still, ruht sich am Ende aus für neue Abenteuer.
    Immer schön dicht an der Wand bleiben, Jakob, so ist es gut, wenn du an der Hausecke angelangt bist, dann die Zähne zusammen und die zwanzig Meter quer über den Platz. Wenn er dann etwas merkt, dann muß er erst schwenken und suchen, aber dann ist schon die Ecke da, lumpige zwanzig Meter.
    Es sind ziemlich genau zwanzig Meter, ich habe die Strecke nachgemessen, genau neunzehn Meter und siebenundsechzig Zentimeter. Ich bin dort gewesen, das Haus steht noch, vollkommen unbeschädigt, nur den Postenturm gibt es nicht mehr. Aber ich habe mir exakt die Stelle zeigen lassen, mitten auf dem Damm der Kurländischen, dann bin ich den Weg abgeschritten, ich habe einen Meter gut im Gefühl.
    Doch es war mir nicht genau genug, ich habe mir ein Bandmaß gekauft, dann bin ich wieder hingegangen und habe nachgemessen. Die Kinder haben zugesehen und mich für einen wichtigen Mann gehalten, und die Leute haben verwundert geschaut und mich für einen Verrückten gehalten.
    Sogar ein Polizist ist erschienen, hat mich nach meinem Ausweis gefragt und was ich hier zu messen hätte, jedenfalls sind es genau neunzehn Meter und siebenundsechzig Zentimeter, das steht fest.
    Das Haus ist zu Ende, Jakob setzt zum Sprung an, wenige Minuten vor acht sind nahezu zwanzig Meter zu gewinnen, die Sache ist so gut wie sicher, und doch. Eine Maus müßte man sein? Eine Maus ist so unscheinbar, klein und leise? Und du?
    Laut Verordnung bist du eine Laus, eine Wanze, wir alle sind Wanzen, durch eine Laune unseres Schöpfers lächerlich groß ausgefallene Wanzen, und wann hat sich je eine Wanze gewünscht, mit einer Maus zu tauschen. Jakob entscheidet sich, nicht zu rennen, er schleicht lieber, man hat die Geräusche so besser im Griff. Wenn Bewegung in den Scheinwerfer kommt, kann man immer noch beschleunigen. Auf halbem Wege hört er die Stimme des Postens, keine Angst, nicht an ihn gerichtet, der Posten sagt »jawohl!« Dann sagt er noch einmal »jawohl« und noch einmal, die einzige Erklärung ist, daß er telefoniert.
    Vielleicht hat ihn ein anderer Posten angerufen, der sich auch langweilt. Aber zu dem sagt er nicht andauernd »jawohl«, das ist ausgeschlossen. Also der Anführer der Postensteher, der irgendwelche Anweisungen gibt? Eigentlich ganz unwichtig, aber nehmen wir den günstigsten Fall, der Wachhabende ist an der Leitung. Was fällt Ihnen ein, sind Sie verrückt geworden, armen unschuldigen Juden einen solchen Schreck einzujagen!
    (»Jawohl«) Haben Sie denn nicht gesehen, daß der Mann ganz verstört war, seine Beine haben vor Angst gezittert! Daß mir das nicht noch mal passiert, verstanden? (»Jawohl«) Beim vierten Jawohl ist die Ecke da, soll er weiterreden, bis er schwarz wird, dann ist Jakob, keine zehn Minuten, zu Hause.

    Jakob teilt sich das Zimmer mit Josef Piwowa und Nathan Rosenblatt. Sie haben sich hier erst kennengelernt, in diesem Zimmer, keiner kann keinen besonders gut leiden, die Enge und der Hunger machen Unfrieden, doch um der Gerechtigkeit willen muß man sagen, daß schon die erste Begrüßung sehr förmlich gewesen ist.
    Rosenblatt ist ein gutes Jahr vor Jakobs glücklicher Heimkehr gestorben, er hat eine Katze aufgefressen, die unvorsichtig genug war, die Warntafeln am Draht zu mißachten, und eines Tages lag sie verhungert auf dem Hof. Rosenblatt hat sie als erster gefunden, wie gesagt aufgefressen, und daran ist er gestorben.
    Piwowa ist erst seit drei Monaten tot.
    Sein Dahinscheiden ist von gewissen mysteriösen Umständen begleitet gewesen, feststeht nur, daß er von einem Aufseher in der Schuhfabrik, in der er gearbeitet hat, erschossen worden ist.
    Er ist frech geworden, er hat Worte gesagt, die man sogar in normalen Zeiten einem Aufseher besser verschweigt, und folgerichtig hat ihn der Mann in seinem Zorn erschossen. Die eine Theorie baut darauf, daß Piwowa sein Temperament nicht zu zügeln wußte, er war schon immer unbeherrscht, und so mußte es einmal enden. Die anderen dagegen behaupten, mit Temperament und Emotionen wäre hier nichts geklärt, sie sagen, es handelte sich um einen ganz gewöhnlichen, wenn auch sehr geschickt in die Wege geleiteten Selbstmord. So oder so, Piwowa ist seit drei Monaten tot und Rosenblatt seit einem guten Jahr, sein Bett ist letzten Winter durch den Schornstein gegangen, Piwowas Bett wartet noch
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