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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Autoren: Uwe Johsohn
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lustig geradezu; in seiner Sammlung hatte er Unterschriften, denen war der selige Schwung des Wodka erheiternd abzulesen. Mit solchen Hallodris war man nun in einer Partei, ihretwegen hatte man den Titel Deutsche Volkszeitung aufgegeben für ein »Neues Deutschland«, mehr als die Hälfte der Mitglieder stellten ehemalige Sozis in der Einheitspartei; zwar würden die für sie gedachten Stimmen nicht mehr auf sie allein fallen. Da war er beruhigt; warum denn hatte er ein flimmerndes Gefühl innen in den Handgelenken, wenn die Gemeindewahlen ihm bloß durch die Gedanken witschten und nicht einmal sich niederließen im Bewußtsein?
    – Er fürchtete für seinen Namen, dieser Gerd Schumann.
    – Das sollst du anders sagen, Marie. Das hörte er nicht gern. Gerd, es klang auf falsche Weise jungenhaft, kindlich geradezu; auch blieb von der einen Silbe fast nichts übrig, wenn das Dreifache J sie aussprach. Slata hatte von ihm, in seiner Gegenwart, zwar wie von einem Abwesenden, immerhin gesprochen als dem Genossen Gä-chatt. Von ihr hatte er sich angerufen gefühlt. Schumann, was war daran Merkliches? Zum Vergessen lud es ein, er selbst wohnte oft weit weg von so einem Fehlläufer von Namen. Da war »der Genosse Landrat« erträglicher, das erinnerte ihn wenigstens nur an das, was er zu tun hatte. (Wie hätte er sich gefreut über den Spitznamen »Rotkopf«, wäre der ihm nur zu Ohren gekommen!)
    – Dein Genosse Landrat hatte vielleicht Angst, daß sie nicht ihn aussuchen würden!
    – Deswegen wachst du auf in durchgeschwitztem Bettzeug? Im August? In einem so kühlen, dickwandigen Haus wie dem Hotel Stadt Hamburg, in einem Zimmer gegen den Westwind? Kann solche Sorge mitkommen in den Schlaf?
    – Gesine, ich meinte ja nur. Für den Fall, daß die Wähler den Genossen Landrat und seine Partei ansehen für Angestellte der Sowjets.
    – Das sag ihm bloß nicht. Da werden ihm die schweren Augen groß, dunkel von andrängendem Blut; du hast viel mehr getan als ihn ein bißchen beleidigt. Gekränkt hast du ihn, wahrhaft aus dem Hinterhalt zugeschlagen, so sackt er zusammen in den Schultern. Muß dir leid tun, so ein hübscher Junge, die rötlich grauen Haare strubbelig im roten Gesicht, nun sind die harmlosen Lippen bitter verkniffen. Fast ohne Hoffnung, gelähmt fragt er dich, wer denn außer ihm und seiner Partei auf das Nationale achtet. Nein, daß jemand ihn, gerade ihn, für einen Handlanger ästimiert!
    – Na entschuldige. Er ist bloß befreundet mit den Sowjets.
    – Kannst du wohl sagen. Verbündet ist er mit ihnen. Weiß er. Dankbar ist er ihnen, und nämlich nicht in jener bürgerlichen Art, bei der allein das Materielle zählt. Gewiß, auch das tun sie für dich. Wenn du einen Wagen brauchst, die Kommandantur stellt ihn dir hin, mit Fahrer, Benzin soviel du brauchst, Gutscheine obendrein. Da kann Grimm lange warten, Christdemokrat als der er sich entlarvt hat; überhaupt kriegt der keinen Urlaub für Wahlreisen, der soll mal die Verwaltung des Landkreises in Ordnung bringen. Wenn dir eine bürgerliche Ortsgruppe in Alt Demwies nicht ganz hasenrein vorkommt, darfst du es freiweg sagen, schon wird sie bei der S. M. A. aus der Registrierung gestrichen. In Mecklenburg gab es 2404 Gemeinden, da wünschten die Liberalen 152 Ortsgruppen; sollten die doch froh sein über 65! 707 Ortsgruppen melden die Christdemokraten an; die können von Glück sagen, daß sie 237 durchkriegen! Deine Partei aber kommt überall hin, dein Neues Deutschland liegt in jedem Laden auf, die Tägliche Rundschau obendrein; nämlich in täglichen Ausgaben; sollen die Sowjets nun auch noch sich abplagen mit Dingern wie Neue Zeit oder Der Morgen, die ohnehin bloß zweimal in der Woche erscheinen? Anfangs bleibt dir die Spucke weg, wenn deine Partei 800 Tonnen Papier kriegt für die Werbung, während der C. D. U. und der L. D. P. D. zusammen bloß 9 Tonnen zugeteilt werden; dann siehst du es ein. Was haben die schon zu sagen. Was wissen die schon. Die richtigen Sachen müssen unter die Leute, du wirst die Freunde nicht enttäuschen; die Bürgerlichen rangeln noch mit den Ortskommandanten um Genehmigungen für Versammlungen oder Plakate, da bist du längst durch fünf Dörfer gerauscht. Du hast eben das Vertrauen der Freunde. Du brauchst deine Reden nicht zur Genehmigung vorzulegen, ohnehin sprichst du frei. Und wenn du liegen bleibst mit Motorschaden im tiefsten Wald an der Küste, wer kommt dich suchen mit dem Jeep und einem Wagen zur Reserve?
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