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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Autoren: Uwe Johsohn
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Unterkunft für Herrn Krijgerstam oder verwandte Geschäftsleute. Ein Haushalt war das erst abends; beim Frühstück bereitete Frau Abs das Mittagsbrot für die beiden anderen vor, dann war die Tür verschlossen, bis alle von Arbeit und Schule kamen, ohne Aufsicht. Dann war manchmal Licht zu sehen an der Stelle, wo früher Cresspahl sein Schriftliches gemacht hatte; da erledigte das Kind Schularbeiten, Frau Abs kämmte Schafwolle aus, und Jakob, an Abenden ohne Überstunden oder Handelstermine, sah den beiden zu, heimlich über den Rand seines russischen Wörterbuchs hinweg, Vorstand des Haushalts, nicht zufrieden mit sich.
    Seine Mutter hatte ihm die amtliche wie die äußere Wirtschaft übergeben, schon vor Cresspahls Verschwinden, gleich als er sich ausgeschlossen hatte von der Bodenlotterie. Wie immer er sie enttäuscht hatte, das ländliche Eigentum hatte ja ohnedies nur für ihn sein sollen. Sie wollte davon nun nicht reden hören, auch Versuche von Erklärung oder Entschuldigung waren ihr zuviel. Nach ihrer Kocharbeit im Krankenhaus blieb ihr eben noch Kraft für das Abendbrot und ein wenig Sauberkeit. Er hatte entschieden, daß sie bei einem reinweg elternlosen Kind sitzen geblieben waren, in einem fremden Haus, in einer mecklenburgischen Gegend auf dem Lande ohne mehr als ein paar Ruten Garten; sollte er das verwalten. Das Alter hatte er dazu. Sollte er das verantworten. Überdies war sie beschäftigt mit Warten auf den Mann. Weder von dem noch von Cresspahl sprach sie als zurückkehrenden Richtern, bei denen er häßlich abfallen würde mit seiner Rechenschaft. Für ihr Teil glaubte er sie ergeben, wenn nicht zufrieden. Das fremde Kind, diese Gesine Cresspahl, war ihm unerfindlich. Sie hatte diesem Brüshaver die Hand gegeben am Grab von Amalie Creutz. Bloß weil sie da aufgestellt waren als Helfer beim Leidtragen? Folgsam hatte sie ihren Vater begleitet zum ersten Gottesdienst, den dieser Brüshaver nach dem Krieg hielt, zum vierten Mal nach ihrer Taufe überhaupt war sie in der Petrikirche gewesen, wie Cresspahl auch. Warum dann nicht mehr? Sie war doch erst dreizehn Jahre alt; was konnte solch Kind wissen von Nutzen oder Schaden der evangelischen Glaubensgemeinschaft?
    Er sah sie ja Unterschiede machen. Wenn es denn Verachtung war, was sie einzelnen Erwachsenen zeigte. Wenn sie denn etwas zeigen wollte. Da kam sie gelegentlich mit Dr. Kliefoth zurück in einem Zug, dann hatten die in einem Abteil zusammen gesessen, gingen noch bis durch die Bahnhofstraße nebeneinander, bis zur Marktecke, dazu mußten sie nicht reden, der alte Mann und das Kind sahen doch zugehörig aus. Verbündet. Von früher her? das konnte Jakob nicht wissen. Dieser Kliefoth war ein studierter Mensch wie Brüshaver, eine Person für Respekt. Für den machte sie fast eine Art Knicks; Brüshaver ließ sie hinter sich wie ein leeres Schaufenster. Eine gab es, Louise Papenbrock, ihre leibliche Großmutter, vor der ging sie auf den anderen Bürgersteig. Das mochte noch von Gewohnheiten aus der Zeit ihres Vaters rühren, wie immer unbegreiflich. Aber von Heinz Wollenberg ließ sie sich anhalten. Bloß weil sie mit dessen Lise zur Schule fuhr? Bei Peter Wulff blieb sie stehen, mit dem sprach sie. Jakob durfte das mit eigenen Augen sehen, sie erzählte davon. Meistens war es die Frage nach Cresspahl gewesen. Dann hielt Jakob den Mund und die Augen auf die kyrillische Spalte in seinem Buch; er zweifelte an dessen Rückkehr. (Er hielt diesen Cresspahl für tot.) Wenn sie Trost brauchte, sie konnte ihn holen von dem, dessen Amt es war. Dem verweigerte sie die Tageszeit.
    Weil artige Kinder die Erwachsenen grüßen. Nich, Jakob?
    Wir wollten gern, daß du solche Sachen recht lernst.
    Weil du nicht mal in die Nähe von Leuten wie Stoffregen gegangen bist.
    Mit der Kirche hattet ihr was zu tun, Gesine. Das wußt ich nu nach einem Jahr Jerichow.
    Warst du sonntags in der Petrikirche, oder bei Johnny Schlegel?
    Gesine, wir waren doch nicht von eurer Landeskirche. Ich mocht nicht nach Gneez, bloß weil da alle Vierteljahr einer kam von den Altlutherischen aus Schwerin.
    Bin ich nicht mit deiner Mutter zu den altlutherischen Gottesdiensten nach Gneez gefahren? Hingeführt hab ich sie. Dageblieben bin ich. Mitgesungen hab ich!
    Stoffregen war bei den Nazis. Der hat Kinder geschlagen. Brüshaver war sieben Jahre lang in den Lagern. Vier Kinder verloren. Statt sich auszuruhen, geht er in die Politik.
    Eben.
    Grüßt du nicht.
    Er machte Politik mit den
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