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Jage zwei Tiger

Titel: Jage zwei Tiger
Autoren: Helene Hegemann
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Brandenburg dazu aufgefordert hatte, einen handgroßen Stein von der Autobahnbrücke zu schmeißen. Lamberto nickte verständnisvoll an den richtigen Stellen, konnte aber noch immer nicht gut genug Deutsch, um auch nur im Ansatz zu verstehen, wovon sie gerade sprach, und war sehr erschrocken, als sie ihn irgendwann sehr rabiat, in einem Gemenge mehrerer Sprachen und eindeutig auf Sex hinauslaufender Gesten dazu aufforderte, sie zu entjungfern. Zwanzig Minuten später lagen sie nebeneinander in seinem Bett und teilten sich eine Zigarette.
    Was beide zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten, aber ahnten, war, dass Lamberto innerhalb der nächsten zwei Wochen das Auto von Samanthas Bruder klauen, mit ihr zusammen nach Venedig abhauen und sie dort heiraten würde.

 
     
    19
     
    Um 20:54 Uhr steckten Kai und Cecile im Fahrstuhl ihres Hotels fest. Kai bekam Panik.
    »Ich hab gestern noch gelesen, dass Fahrstühle gar nicht abstürzen können, das ist technisch völlig unmöglich«, sagte Cecile, um ihn zu beruhigen.
    »Aber es können ganz blöde Sachen passieren«, seufzte Kai. »Zum Beispiel in Frankfurt, da gibt’s den Uniturm, der ist dreißig Stockwerke hoch, und da ist ein Fahrstuhl stecken geblieben zwischen zwei Stockwerken. Und da war eine Frau drin gefangen, die sich logischerweise retten wollte. Sie schob die Fahrstuhltüren auf, sah unter sich das nächste Stockwerk, sprang raus und fiel dann den Schacht runter. Dreißig Stockwerke tief.«
    »Und? Gestorben?«
    »Natürlich.«
    »Fucking hell.«
    Cecile überlegte kurz.
    »Wir würden immerhin nur zwei Stockwerke tief fallen, das ist ja schon mal was«, sagte sie dann.
    »Und uns beide Beine brechen oder so«, sagte Kai. »Also, im äußersten Fall. Ein anderer toller Unfall ist Sektkorkenrausziehen. Korken geht durch Brille durch, und dann ist die betreffende Person später blind, weil Splitter im Auge. Ist einem Freund von Detlev passiert.«
    »Echt?«
    »Bei dessen Hochzeit.«
    »Detlevs Hochzeit?«
    »Ja. Also nein, bei der Hochzeit von dem Typen, das ist ja das Tragische«, sagte Kai. »Und als der Krankenwagen endlich mit ihm weggefahren war und Detlevs anderer Kumpel aus Frust für die Hinterbliebenen ne weitere Champagnerflasche aufmachen wollte, passierte dem allen Ernstes dasselbe. So was nennt man die Duplizität der Ereignisse.«
    »Das ist ausgedachte Scheiße, Kai.«
    »Mein Vater lügt nicht.«
    Cecile gab Kai recht. Dann fragte sie ihn, ob sie ihm was erzählen solle, was sie noch nie zuvor jemandem erzählt hatte. Kai nickte.
    »Ich habe 500.000 Dollar. Ohne Scheiß.«
    Kai glaubte ihr das zwar sofort, antwortete aber relativ gelangweilt nichts anderes als »Wow« und fragte drei Minuten später, wo sich das Geld denn befinde.
    »In einer irre hässlichen Skulptur. Die ich meinen Eltern geklaut habe.«
    »Der Elefant? Ist das dein Ernst?«
    Cecile nickte.
    »Der ist die größte Scheiße, die ich je gesehen habe, deine Eltern sind geschmacklos.«
    Cecile nickte wieder, Kai dachte nach. Sein Verhältnis zu so viel Geld war relativ unhysterisch. Er wusste, dass selbst 500.000 Dollar schneller ausgegeben waren, als man dachte, und nur Besitzanhäufung hinterließen, die es dann mit Selbstverleumdung aufrechtzuerhalten galt. Irre anstrengend. Trotzdem fühlte sich die Vorstellung, mühelos einen Trip nach Hawaii finanzieren zu können, ganz okay an.
    »Ich brauche dieses Geld«, sagte Cecile, ohne Kai anzugucken, und Kai nickte erneut.
    »Sind deine Eltern Arschlöcher?«, fragte er dann.
    »Ich glaube schon«, sagte Cecile.
    »Sind sie reich?«
    »Ja.«
    »Dann zwing sie einfach dazu, den Elefanten zurückzukaufen. Easy.«
    Cecile lachte ungläubig.
    »Ich mein’s ernst«, sagte Kai. »Du treibst sie mit Küchenmessern in irgendeinen abschließbaren Keller und lässt sie erst raus, wenn sie den Kaufvertrag unterschrieben haben.«
    »Den Kaufvertrag?«
    »Ja, oder was weiß ich, den Scheck oder was man da nimmt.«
    »Es gibt überhaupt keine Schecks mehr.«
    »Aber Online-Banking, Cecile.«
    »Verdammte Scheiße.«
    »Irgendwas.«
    »Shut up!«
    »Go away!«
    »Fuck yourself!«
    Cecile lachte, Kai lachte mit, sie lachten genaugenommen so heftig, dass sie parallel zueinander in die Knie gehen mussten, und einige Minuten später setzte sich der Fahrstuhl wieder in Bewegung, und sie erhoben beide ihre Hände, um sie in die erhobene Hand des jeweils anderen zu schlagen, man nennt das »High Five«, glaube ich. Kais Nerven waren jedenfalls zum
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