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Jage zwei Tiger

Titel: Jage zwei Tiger
Autoren: Helene Hegemann
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etwas, ungefähr sechzig Menschen standen komplett paralysiert vor einer Art erweitertem Osterfeuer und wirkten, als hätten sie so etwas noch nie gesehen. Mitten in dieser Masse bewegungsloser Gesichter sah Samantha plötzlich eins, das ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.
    Sie musste beinahe kotzen, sie drohte auseinanderzufallen, sie fühlte sich vollkommen zerbröckelt und nackt. Ein Naturzustand, der nichts mit tierischer Begierde zu tun hatte, sondern eher eine Maßnahme für den Leichenhaufen zu sein schien, auf dem sie irgendwann nichts anderes mehr als einer unter vielen nackten Toten sein würde.
     
    »Wie mach ichn das mit dem Arm? Einfach zwischendurch kurz ansprechen, oder?«, fragte Kai. Cecile antwortete, ohne ihren Blick von Samantha abzuwenden: »Spitzenmäßig, tiptop, eins a.«
    Dann ging Kai auf Samantha zu. Während er sich immer weiter von ihr entfernte, starrte Cecile auf Kais Rücken und stellte fest, dass sie Lust hatte, ihm hinterherzurennen. Die Feuerwehr löschte den Komposthaufen innerhalb von zehn Sekunden, die Vorstellung wurde abgesagt.
     
    Eine halbe Stunde später saßen Kai und Cecile schweigend in Samanthas Wohnwagen. »Soll ich mal was zu trinken holen gehen oder so?«, fragte Samantha.
    Kai sagte: »Ähm«, und Cecile rief parallel dazu: »Ich fände das super.«
    Samantha stand von ihrem Bett auf, ging nach draußen und ließ die Tür offen stehen. Cecile drehte sich auf dem Schreibtischstuhl dreimal um die eigene Achse und schließlich zu Kai. Der guckte weg, bis beide plötzlich anfingen zu lachen, Cecile ihren Mantel auszog und »Mach dir keine Sorgen« sagte.
    »Warum sagst du das?«
    »Weil du ein extrem cooler Typ bist.«
    Kai sah sie fragend an. Cecile guckte fragend auf eine halb abgeblätterte Fototapete mit Lotusblütenaufdruck. Als Samantha wiederkam, hatte sie diesen besonderen Ausdruck fundamentaler Genervtheit aufgesetzt, der nur total hübschen Mädchen vorbehalten war. In der Hand hielt sie eine Sektflasche, die fünf Stufen nach drinnen nahm sie mit nur einem Schritt. Ihre Mutter war ihr hinterhergelaufen, aber kurz vor der Tür auf der letzten Stufe stehen geblieben. Sie streckte ihren Kopf in den Wagen, sah verheult aus und hatte vergessen, eine ihr von der Feuerwehr um die Schultern gewickelte sinnlose Wärmedecke abzulegen.
    »Ich find’s ja nicht so geil, wenn ihr jetzt schon Alkohol trinkt«, sagte sie.
    Samantha stöhnte genervt, zwang sich an den anderen vorbei zurück zur Tür und versuchte sie zuzuziehen. Eilkrit hinderte sie daran.
    »Und jetzt musst du mir gleich wieder hinterherlaufen wie son Hund?«, fragte Samantha. Eilkrit nickte.
    »Toll.«
    Die Mutter sah von Cecile zu Kai und schien unbedingt herausfinden zu wollen, woher sie den Jungen kannte.
    »Siehst du nicht, dass wir Gläser brauchen? Kannste mal welche holen gehen?«, fragte Samantha.
    »Nein, ich hol jetzt keine Gläser.«
    »Dann geh raus.«
    Ihre Mutter reagierte nicht, sie guckte noch immer Kai an.
    »Entweder du holst jetzt Gläser oder du gehst raus, Mama!«
    »Willste dich jetzt irgendwie brüsten oder so? Vor deinen komischen Freunden?«
    »Klar, ich will mich volle Kanne vor denen brüsten, gut erkannt.«
    »Aha.«
    Kurze Stille.
    »Und schämst du dich gar nicht?«
    »Nee. Du dich vielleicht? Ich würd mich jedenfalls schämen, wenn ich so rumlaufen würde wie du!«
    »Und ich würd mich schämen, wenn ich so mit meiner Mutter reden würde!«
    »Ja, fantastisch, dann hau ab jetzt, du siehst unterirdisch aus, unterirdisch.«
    Eilkrit rollte demonstrativ mit den Augen und wollte damit vermutlich signalisieren, dass sie nicht kapituliert hatte, sondern nur zu schlau war, um sich weiterhin derartigen Unzulänglichkeiten hinzugeben. Dann haute sie tatsächlich ab. Sie hatte verloren.
     
    »Jetzt bin ich mal wieder die Letzte, die das merkt, aber sechzehnjährige Mädchen sind widerliche Arschlöcher«, sagte Samantha. Ihr Gesicht entspannte sich innerhalb weniger Sekunden. Plötzlich sprang ein Kind in einem weißen, zu langen Nachthemd vom oberen Teil des Stockwerkbettes, was Kai so erschreckte, dass er laut aufschrie.
    »What the fuck, Maria!«, schrie Samantha.
    Maria war auf den Knien gelandet, sie guckte die drei nacheinander erwartungsfreudig an, schien traurig darüber zu sein, dass niemand ihren Sprung zu würdigen wusste, und stellte sich hin. Dann sagte sie, zu Tode beleidigt, dass Samantha ihr versprochen hätte, ihr beim Ausfüllen irgendeines
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