Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Jage zwei Tiger

Titel: Jage zwei Tiger
Autoren: Helene Hegemann
Vom Netzwerk:
Freundschaftsalbums zu helfen. Sie drückte ihr das von Diddlmäusen überzogene Buch in die Hand, Samantha stöhnte mal wieder, forderte Cecile jedoch auf, ihr einen Stift vom Schreibtisch zu geben. Dann sagte sie zu dem Mädchen: »Jetzt steht hier ›Hobbys‹. Was machst du denn gerne?«
    Maria überlegte fieberhaft.
    »Tanzen, turnen, gut mit Schwertern umgehen.«
    »Und Lieblingsfarbe?«
    »Blau. Also Blue, du kannst auch schreiben: Blue.«
    Samantha nickte und schrieb, durch einen Schrägstrich voneinander getrennt, sowohl Blau als auch Blue in die Steckbriefspalte.
    »Und dein Lieblingsheld?«
    Maria überlegte wieder, diesmal aber sehr viel angestrengter als zuvor.
    »Kleopatra«, schrie sie irgendwann mit senkrecht in die Luft gehaltenem Zeigefinger.
    »Kleopatra? Spinnst du? Weißt du überhaupt, wer das war?«
    »Die Königin von Ägypten! Ich weiß sogar, wie ihr Ehemann heißt!«
    »Toll, das wissen wir auch.«
    »Ach ja? Wie heißt der denn, ihr Ehemann?«, fragte Maria.
    »Richard Burton«, sagte Cecile. Samantha prustete vor Lachen, Cecile grinste stolz. Kai kannte weder Richard Burton noch den Monumentalfilm von1963 , in dem er an Elizabeth Taylors Seite Marcus Antonius gespielt hatte. Maria war so verunsichert, dass sie nach einer kurzen Schockstarre wie ein Roboter den Wagen verließ.
    »Richard Burton, ich fass es nicht«, wiederholte Samantha mit Freudentränen in den Augen, und Cecile antwortete, dass sie müde sei und dringend nach Hause müsse. Bevor sie Maria hinterher nach draußen ging, zwinkerte sie Kai zu, und zwar so, dass Samantha es nicht sehen konnte. Danach zuckte sie entschuldigend mit den Schultern, als könnte sie sich selbst nicht erklären, wie sie auf die Idee gekommen war, ihn mit einer so durchgeballerten Bilderbuchgeste der Komplizenschaft zu belästigen. Kai atmete tief aus, Samantha tat dasselbe. Dann köpfte sie die Sektflasche, nahm einen Schluck und ließ sich aufs Bett fallen. Sie sagte nichts. Sie guckte ihn auch nicht an. Nach fünf Minuten hatte Kai das Gefühl, sie sei eingeschlafen, und fragte deshalb so nebensächlich wie möglich: »Was istn da eigentlich mit deinem Arm passiert?«
    Samantha setzte sich sofort aufrecht hin.
    »Was meinst du?«
    »Dein Arm, der ist –«
    »Der ist was?«
    Kai runzelte die Stirn. Sie guckte ihn fragend an.
    »Die Hälfte von deinem Arm ist ab, Samantha!«
    Samantha fing hysterisch zu lachen an, Kai lächelte und verstand die Welt nicht mehr. Weil ihm nichts Souveräneres einfiel, tat er so, als fände er das ebenfalls irre lustig. Danach erlaubte er sich den naheliegenden Scherz, zu fragen, ob ihr das bisher noch nicht aufgefallen sei.
    »Nein, bisher nicht, sieht aber ganz okay aus, oder?«, antwortete Samantha und lachte weiter.
    Sie sprang hysterisch um ihn herum, mit einer Körperspannung, die was Maschinenhaftes hatte. Kai hatte keinen Zugriff auf diese Performance. Als sie sich beruhigt und wieder hingesetzt hatte, fragte sie sehr eloquent, ob er wisse, wie ein japanischer Arthouse-Horrorfilm mit ihm in der Hauptrolle enden würde.
    »Ich hab noch nie einen gesehen, glaube ich«, sagte Kai.
    »Solltest du aber. Ich hab mich mein Leben lang für Noriko Nakagawa aus Battle Royale gehalten, macht Spaß, sich mit moralisch überlegenen Helden zu identifizieren, die am Ende als Einzige überleben.«
    »Und worum geht’s da?«
    »In Battle Royale ? Totaler Krieg. Schulklasse wird auf einer Insel ausgesetzt und dazu aufgefordert, sich gegenseitig abzuschlachten.«
    »Ist der gut, der Film?«
    »Absolutes Meisterwerk, ich wünschte, ich hätte ihn selber gemacht. Hast du Zigaretten?«
    Kai schüttelte den Kopf. Dann fragte er, ob sie sich für Filme interessierte. Sie lachte wieder.
    »Als ich sechs war, hab ich nachts im Fernsehen bei meiner Tante Ute nen Schwarzweißfilm von 1946 gesehen, Gilda , Regie: King Vidor, klassischer Film noir, der sich durch die konventioneller Hollywoodmoral entgegengesetzte Düsternis und Entfremdung auszeichnen muss. Kennst du Rita Hayworth?«
    »Nein«, sagte Kai, völlig fertig und perplex.
    »Sie wär dein Typ.«
    »Du bist mein Typ.«
    »Ich seh auch aus wie sie. Allerdings ist sie nicht im Geringsten wie ich. Und außerdem hab ich mich nach einiger Zeit auf asiatisches Kino spezialisiert, den ganzen Martial-Arts-Blödsinn und viel Action. Takashi Miike, Kinji Fukasaku, Hark Tsui, Joon-ho Bong, und –«
    »Wovon zur Hölle redest du?«, fragte Kai.
    »Wovon ich rede?«, schrie Samantha
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher