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Jage zwei Tiger

Titel: Jage zwei Tiger
Autoren: Helene Hegemann
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Hausfrauenclique aus dem Kegelverein die Freundschaft gekündigt hatte und bei ihrer Tochter eingezogen sei, um »endlich ihr Leben zu leben«, wie Susanne sie mit in der Luft angedeuteten Anführungszeichen zitierte. Und dann erzählte Susanne, dass sie sich tatsächlich dazu entschlossen habe, sich um sie zu kümmern.
    »Sie hatte halt nie jemanden, was will man da machen«, sagte sie und grinste auf eine Weise, die Detlev zwar bekannt, aber nicht vertraut war, es wirkte wie die geupgradete Version einer angeborenen Einsicht auf das in irgendeiner Zukunft harrende Elend. In einem Nebensatz erwähnte Susanne außerdem, dass sie sich von ihrem linksradikalen Schriftsteller getrennt habe, weil der erstens zu langweilig gewesen sei, zweitens Patricia Riekel, Burda-Stylegroup-Chefin, für eine »echt starke Frau« hielt und sie drittens völlig begeistert in ein TV -realistisches Theaterstück mitgenommen hatte, woraufhin sie nicht nur an ihm, sondern an der ganzen Menschheit habe zu zweifeln begonnen. Hamlet, immer dieser doofe Shakespeare, und dann noch auf unterstem Niveau, und das komplette Bildungsbürgertum habe sich totgelacht, sobald der eitle schauspielernde Gymnasiastinnenschwarm ins Publikum gefurzt, »ficken« geschrien oder ironisch Hip-Hop zitiert habe. »Und wenn da Frauen vorkommen, dann immer nur so, dass sie innerhalb von zwei Sekunden entweder vergewaltigt, mit Dreck beworfen oder zur hysterischen Verrückten stilisiert werden, denen kein Ausweg bleibt als Selbstmord. Es ist seltsam, wie verloren und deutlich begrenzt ich in meinen sozialen Kontakten eigentlich bin«, sagte Susanne. »Es ist einfach so, dass mich langfristig alle nerven, mittelfristig wenig interessieren und kurzfristig, nun ja, scheint jeder Kontakt deshalb albern.«
    Detlev lachte. Die beiden gingen in die Wohnung, die sie vor fünf Jahren gemeinsam bezogen hatten. Susanne öffnete reflexhaft die Fenster aller Zimmer, sah sich um und ließ sich aufs Sofa fallen.
    Sie zog ein Ramones- T -Shirt in Kindergröße aus der Sofaritze und blätterte danach in einem zerfledderten antiquierten Bildband, der Die Welt von oben hieß und die ersten Schwarzweißfotografien europäischer Metropolen versammelte. Die Widmung war »Für D. von C. , in diesem Sinne«, und Susanne fragte relativ unbeeindruckt, mit wem er in der Zwischenzeit geschlafen habe.
    »Anorektischer Ex-Junkie, ungefähr neunzehn«, antwortete Detlev und fügte hinzu, dass er sich, hingerafft von seiner kurzfristig wieder aufgetretenen Wildheit, habe verführen lassen.
    »Sah sie halbwegs okay aus?«
    »Ja, ich glaube schon. Okay ist das richtige Wort, bisschen uninteressant. Hätte die Tochter von Buster Keaton und irgendeiner zu kurz gekommenen Kellnerin sein können. Generell interessiert an Autos und anspruchsvoller Literatur, zumindest tat sie so. Typischer Fall von sich defizitär im Herzen fühlen. Hat fünfzehnmal sekündlich gelogen und ausgedachten Bullshit erzählt bezüglich ihrer Herkunft, von ›meine Eltern waren lateinamerikanische Asis und sind tot‹ bis hin zu einem unter Tränen abgegebenen Geständnis, sie wäre absurd reichen Verhältnissen entflohen, aus irgendeinem Schloss am Nord-Ostsee-Kanal, weil ihre Eltern eigentlich doch keine Asis, sondern betrügerische, sadistische Upperclass-Spießer waren mit Jürgen-Teller-Originalen an der Wand. Dabei war sie allerhöchstens untere Mittelklasse und komplexbeladen wie scheiße, ehrlich.«
    Er erzählte detailliert von Ceciles nächtlichen Fressanfällen, dass Sex mit ihr unerträglich gewesen sei und wie sie zwölf Stunden täglich nichts anderes getan hatte, als auf seine Befehle zu warten.
    »Wo ist sie jetzt?«, fragte Susanne dann, sie stützte über die Sofalehne gebeugt ihr Kinn auf der Faust ab, und grinste.
    »Keine Ahnung. Sie ist mir scheißegal«, sagte Detlev, und Susanne wusste, dass er nicht log. Sie stand auf, ging in den Flur und machte die doppelreihige Knopfleiste ihres Metallic-Trenchcoats zu. Dann fragte sie ihn, ob er Lust habe, mit ihr ins Kino zu gehen.
     
    Währenddessen saß Cecile in einem überfüllten ICE nach Berlin, fühlte sich elend und wollte nichts anderes, als Detlev sagen, dass sie ihn hätte glücklich machen können. Sie war innerhalb der letzten 24 Stunden mehrere Male gestorben und fragte sich, warum sie überhaupt noch atmete. Sie wünschte sich eine Revanche. Die Revanche würde aber nie kommen, und wenn, dann zu spät. Das einzige Argument gegen Suizid bestand
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