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Jagdzeit

Titel: Jagdzeit
Autoren: Claudia Toman
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mache einen halben Schritt vorwärts.
    Gewiss, jeder vernunftbegabte Mensch fragt sich nun mit Sicherheit, was ein solches Angstlangohr wie ich im Mondschein am Waldrand verloren hat. Guter Einwurf, zumal ich dafür bekannt bin, dass ich zwar mit Vorliebe Stephen-King-Romane lese, jedoch nur dann, wenn alle, wirklich ALLE Lichter in
meiner Wohnung eingeschaltet sind, inklusive Klo-, Bad- und Küchenschrankinnenbeleuchtung, und meine Katze LaBelle sich in Körperkontaktnähe befindet.
    Nun, bestimmt mache ich keinen nächtlichen Mondspaziergang, mit wem auch? Es ist vielmehr so, dass ich gerade einer Schussattacke entkommen bin und mich nun auf der Flucht befinde, denn in dem idyllischen Dörfchen W. ist der Wahnsinn ausgebrochen. Wie bin ich da bloß hineingeraten? Ach ja, richtig, ich musste ja unbedingt rauskriegen, was hinter den Todesfällen steckt. Recherche betreiben. Tolle Idee!
    DEADLINE, denke ich bitter, aus Angst vor einer Deadline bin ich vor drei Tagen nach W. gekommen, und nun habe ich eine viel konkretere Todeslinie erreicht. Was für eine Ironie des Schicksals! Aufgrund der Schreibblockade konnte ich mir kein Abenteuer schreiben, also musste ich schnurstracks in eines hineinstolpern. Typisch ich. Aber nun heißt es Flucht nach vorn. Entschlossen wende ich mich dem Waldrand zu.
    »Aaaaaaah!« Der Schrei ist da, noch bevor mein Hirn die gesammelten optischen und akustischen Signale verarbeitet hat. Ein neuerliches Knacken von halblinks vorn und ein einzelnes Auge ebendort. Ein tierisches, furchtbares, unnatürlich fluoreszierendes neongraues Auge, das genau in meine Richtung starrt.
    Die Hütte!, denke ich noch, bevor alles um mich herum endgültig in Dunkelheit verschwindet. Die Hütte. Suchen!
    Ich sehe schwarz.
    Oberdunkelsuperschwarz.

2 Die Reifriesen grollen!
    Drei Tage zuvor
     
    »Welche Farbe?«
    »Rot. Kirschrot, genau genommen. Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?«
    Schweigen am anderen Ende der Leitung. Schweigen und dann der unverkennbare Klang von …
    »Kann das sein, dass du gerade die Klospülung betätigt hast?«
    »Was sagst du?«
    »Die KLO SPÜLUNG?«
    »Na ja, es war dringend.«
    Ich schüttelte den Kopf und versuchte krampfhaft, mich auf die Straße vor mir statt auf das Rauschen aus der Freisprecheinrichtung zu konzentrieren. Menschen, die aufs Klo gehen, während man mit ihnen telefoniert, haben auch die Angewohnheit, in Lokalen ungeniert mit männlichen Mitbürgern zu flirten, wenn man ihnen die große Tragödie seines Lebens schildert, oder einen gnadenlos in der Leitung warten zu lassen, weil sie schnell den Festnetz- oder Skype-Anruf beantworten müssen. Ganz zu schweigen von der Unart, mit dem Handy am Ohr E-Mails zu schreiben oder sich ein mehrgängiges Menü zuzubereiten. Man merkt diese Zeichen fehlender Konzentration an der stets gleichbleibenden »Aha, hm!«-Antwort.

    »Bist du noch dran?«
    »Aha, hm!«
    Ich stellte mir vor, wie sie einhändig oder mit zwischen Ohr und Schulter eingeklemmtem Telefon ihre Unterhose und Hose wieder hochzog.
    »Uah, ein Ufo geradeaus!«
    »Aha, hm!«
    »Ein Abgrund! Ich kann nicht bremsen! Ich werde sterben!«
    »Sehr witzig! Also eine kirschrote Lederjacke. Ich gratuliere, du bist offiziell versnobt.«
    Meine Freundin Sorina, ihres Zeichens Besitzerin der versnobtesten Handtaschenkollektion von ganz Wien, war also der Meinung, ich wäre ein Snob, nur weil ich mangels eines männlichen Liebesobjektes mein Herz an eine kirschrote Lederjacke verschenkt hatte, die ich mir nach Erhalt meines allerersten Verlagsvorschusses zur Belohnung gegönnt hatte. Ich war nun tatsächlich freischaffende Romanautorin und erstmals in meinem Leben im Besitz eines ausreichend gefüllten Bankkontos. Wenn da nicht die Sache mit dem zweiten Buch und der Deadline wäre, befände ich mich im schlaraffenländischsten Paradies!
    »Na, wenn du meinst. Ich an deiner Stelle würde mich lieber nach einer testosteronhaltigeren Leidenschaft umschauen.«
    Wenn das so leicht wäre! Manchmal werden sie einem nämlich auch glatt unter der Nase weggeheiratet …
    »Aber vergiss nicht, Olivia: Der erste Blick gilt dem Ringfinger, nicht den Augen, sind wir uns einig?«
    »Worauf du Gift nehmen kannst!«
    »Muss nicht sein. Außer das Gift schmeckt süß und bewirkt eine Endorphinausschüttung. Wohin fährst du überhaupt?«

    Ich betrachtete die graue Wolkendecke über dem Bergmassiv, das links neben der Autobahn an mir vorüberzog, und seufzte.
    »In die Berge.«
    »Was,
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