Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Jagdzeit

Titel: Jagdzeit
Autoren: Claudia Toman
Vom Netzwerk:
Ding-Dang-Dong.
    »Und wer ist das?«, fragte ich Sepp leise, der jedoch nur in Zeitlupe mit den Schultern zuckte.
    »Das weiß ich selbst nicht so genau. Redet wenig, kritzelt viel in diesem Ding herum, trinkt nur aus Dosen und hat immens große Ohren. Harmlos, im Prinzip.«
    Ich ertappte mich dabei, wie ich unwillkürlich nach den Ohren im Hutschatten Ausschau hielt.
    »Es fragt mich ja keiner, aber wenn man mich fragen würde, würde ich sagen, so sieht ein Schnüffler aus.«
    »Ein Schnüffler?«
    Sepp nickte bedächtig, womit das Thema für ihn wohl erledigt schien, da er hinter der Theke verschwand, um kurz darauf mit einem Schlüssel zurückzukommen, den er vage in meine Richtung hielt. Ich nahm ihn. Ein einfacher kleiner Silberschlüssel ohne Anhänger, nur an einer Schlinge aus grobem Garn aufgefädelt.
    »Erster Stock, Zimmer zwei, Frühstück gibt es keines. Das Wirtshaus macht erst mittags auf, aber meine Frau Therese stellt immer eine Thermoskanne mit Kaffee und ein paar Buttersemmeln hier auf die Theke, zur Selbstbedienung. Der da«, er deutete noch einmal Richtung Schnüffler, »rührt davon aber nie etwas an.« Dabei grinste Sepp fröhlich schlitzäugig in sich hinein. »Ich wünsche eine gute Nacht.«
    »Danke, äh …«
    Als habe er mich bereits vergessen, holte Sepp ein Bierglas unter der Theke hervor, füllte es ohne Eile und trug es zu einem voll besetzten Tisch am Fenster, wo es mit Gejohle in Empfang
genommen wurde. Erst jetzt bemerkte ich, dass außer dem Schnüffler und mir noch andere Gäste im Wirtshaus waren. Einheimische offensichtlich, in kleinen Gruppen an den Tischen verteilt. Ausschließlich Männer. Die meisten von ihnen ignorierten mich nach kurzer Prüfung demonstrativ. Manche flüsterten miteinander, wobei sie, nicht gerade unauffällig, auf mich deuteten, und ein paar musterten mich ganz offen aus starren, kalten Augen. Eine Gänsehaut kroch über meine Unterarme. Meine Anwesenheit in diesem Wirtsraum war offensichtlich unerwünscht, andererseits war es noch nicht einmal ganz dunkel, zu früh fürs Bett, und ich hätte gerne bei einer heißen Tasse Tee ein paar Informationen über meinen Pädagogen eingeholt. War er vielleicht sogar hier?
    Ich studierte die Gesichter der Einheimischen, doch niemand sah der jpg-Datei, die mir Xandras Bruder gemailt hatte, auch nur annähernd ähnlich. Dafür starrte mich der Schnüffler aus seinem Eck heraus immer noch an und - ach du Schreck, bitte nicht - hob die Hand, um mich an seinen Tisch zu winken. Er kann doch unmöglich wissen, dass ich auch Schriftstellerin bin, dachte ich, mich an diverse unangenehme Begegnungen mit Kollegen bei Lesungen oder Buchpräsentationen erinnernd. Brie, der Käseautor, fiel mir ein, und ich schauderte.
    Nach einem kurzen Zögern und weil die Stielaugen der Einheimischen immer unverhohlener glotzten, durchquerte ich schließlich den Raum, den Blick starr auf den Boden gerichtet, bemüht, nicht zu stolpern, und mir unbehaglich der weiblichen Konturen unter meinem engen T-Shirt bewusst, die von der roten Jacke (Signalfarbe!) auch noch unterstrichen wurden. Warum hatte ich bloß nicht ein weniger extravagantes Outfit gewählt? Ich war nicht etwa verklemmt oder leicht
einzuschüchtern, aber ich hasste es, von Männern auf diese eindeutige Weise angegafft zu werden, zumal meine üppigen bis molligen Formen noch nie zu meinem Selbstbewusstsein beigetragen hatten, wenn ich mich unter Fremden bewegen musste.
    Endlich hatte ich den Tisch des Schnüfflers erreicht, doch ich setzte mich nicht, denn ich hatte vor, baldigst in mein Zimmer zu verschwinden, noch eine extraheiße Dusche zu nehmen und mich anschließend ins Bett zu verkrümeln. Vielleicht brachte ich sogar noch ein paar geschriebene Zeilen über Berggewitter und Reifriesen zustande. Die Laune passte ja schon mal.
    »Ja bitte?« Meine Stimme war planmäßig reserviert, die Konsonanten sogar ansatzweise frostig.
    Er hob den Kopf, und ich sah in ein Paar blaugraue Augen mit großen Pupillen, die aus einem blassen, ein wenig unrasierten Gesicht herausstachen, um das einzelne widerspenstige Haarsträhnen, dunkel, aber grau meliert, seltsam abstanden. Seine Mundwinkel waren leicht nach oben gezogen, ein Ausdruck, den man als spöttisches Lächeln hätte bezeichnen können, wäre da nicht der wachsame Ausdruck unter seinen langen Wimpern gewesen. Lediglich ein paar äußerst dunkle Ringe direkt unterhalb der Augen relativierten diesen Blick. Ich checkte aus alter
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher