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Jagdzeit

Titel: Jagdzeit
Autoren: Claudia Toman
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äußerst schmerzhaften Leider-Nein-Verbindung mit dem ultimativen Märchenprinzen, seines Zeichens Neo-Ehemann einer anderen Glücklichen, sehnte ich mich nach männlicher Nähe. Nicht zuletzt deshalb, weil ich in der Vergangenheit
festgestellt hatte, dass Liebe ein enorm wichtiger Teil des schriftstellerischen Schöpfungsprozesses war. Und es war definitiv Zeit, zu schöpfen, ließ man mich seitens meines Verlags wissen. Doch woher nehmen, wenn nicht stehlen? Der Vertrag für das zweite Buch war unterschrieben, aber eine durchs deprimierende Singledasein begründete Schreibblockade hielt mich von jeder Form kreativer Betätigung ab, stattdessen überlegte ich, Yoga oder japanischen Schwertkampf zu erlernen. Ein Tiefseetauchkurs stand auch ganz oben auf der Liste.
    Als mir in diesem Gemütszustand Xandra, reichlich beschwipst, permanent an ihrem kurzen grünen Minirock zupfend, vom feschen Cousin aus dem etwas ländlicheren Gebiet berichtet hatte (wobei ich da noch so großstadtnahe Landgegenden wie Wiener Neudorf oder maximal Baden bei Wien vor mir gesehen hatte), war ich bereit, meine sonst üblichen Bedenken großzügig zu ignorieren. No risk, no fun, oder so ähnlich. Und besser, als mit einer Sauerstoffflasche bewaffnet und blöden Flossen an den Füßen Korallenriffe zu besichtigen. So hatte ich die Katze schweren Herzens bei meinen Eltern abgegeben, meine Siebensachen gepackt und war Richtung Westen gefahren. Inspiration ahoi!
    Auf dem Papier klang er auch ausgesprochen gut: gerade vierzig geworden (perfektes Alter!), Sport- und Deutschlehrer in der Bezirkshauptstadt, sehr belesen, aber nicht zu intellektuell, gesellig, gut aussehend, Brillenträger (wichtig!), Lieblingsbuch: »Schlafes Bruder« (gut, typisch Deutschlehrer), Lieblingsmusiker: Phil Collins (na ja, besser als zum Beispiel Bryan Adams), Lieblingsfilm: »Stirb Langsam 2« (gerade noch akzeptabel), Lieblingsschauspieler: Tom Hanks (!), seit einem Jahr Single und auf der Suche nach »etwas Ernstem« »mit ausreichend Distanz
zur Ortseinwohnerschaft«, sprich: eine Frau fürs Leben von außerhalb. Nicht, dass ich es je in Betracht gezogen hätte, mich von der heiß geliebten Großstadt zwecks Familiengründung weiter als fünfzig Kilometer zu entfernen, doch solche Bekanntschaften konnten ja durchaus auch den umgekehrten Weg nehmen, zumal wohl kein vernunftbegabter Pädagoge das Kaff W. der Hauptstadt W. vorziehen würde, oder?
    Zwei Kreisverkehre später, kurz vor der Ortseinfahrt von W., dem Ziel meiner Reise, gab die Wolkendecke nach, und das Unwetter legte mit einem Donnergrollen los, bei dem mir fast die Trommelfelle platzten. Na wunderbar. Glorreiche Aussichten. Ich würde in diesem Kuhdorf nicht einmal die einzige Unterhaltung in Anspruch nehmen können, die es zu bieten hatte, nämlich Natur pur. Stattdessen würde ich am nächsten Tag Däumchen drehend durchs Fenster auf den Regen starren und den Schulschluss abwarten, um den verheißungsvollen Unbekannten darüber zu informieren, dass ich zufällig in den Bergen war. Irgendwie konnte ich mir nämlich nicht vorstellen, dass es hier ein Viersternehotel mit Sauna, Infrarotkabine und Hallenbad gab.
    Tatsächlich hielt ich zwanzig Minuten später vor der einzigen Herberge in ganz W., dem Dorfwirtshaus mit dem mäßig originellen Namen »Gifthütte«. Kein Stern weit und breit, schon gar nicht am grau verhangenen Gewitterwolkenhimmel. Ein ausgebleichtes blassrosa Fähnchen neben der Tür verkündete schlapp »Zimmer frei«, wenig verlockend, doch ich beschloss, angesichts des peitschenden Regens dieses Angebot schnellstens anzunehmen. Ehe ich eintrat, blickte ich mich um, um einen ersten Eindruck von der Heimat des potenziellen Zukünftigen (Optimismus ist das halbe Leben!) zu gewinnen. Ich
beschloss augenblicklich, dass ein einziger Familienbesuch im Jahr ausreichend wäre, wenn er erst einmal bei mir in Wien leben würde. Höchstens anlässlich von Hochzeiten oder, alternativ, Beerdigungen konnte man über eine zweite Fahrt in diesen Inbegriff der Trostlosigkeit nachdenken. Ich meine, welches schriftstellerische Potenzial sollte denn in dieser Landschaft stecken?
    Locker gruppierten sich alte, mehr oder weniger renovierungsbedürftige Häuser um die auf einem kleinen Hügel gelegene Kirche samt Friedhof. Auffallend war die Abwesenheit von Farben. Selbst jene Gebäude, die wohl früher einmal kräftig geleuchtet haben mussten, waren nun undefinierbar schlammbeige, wie von zu viel Regen völlig
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