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Jagdzeit

Titel: Jagdzeit
Autoren: Claudia Toman
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ausgewaschen. Das Holz der Balkone und Veranden wiederum war graubraun und wirkte sogar aus der Ferne modrig und wenig vertrauenerweckend. Umso üppiger wucherten hässliche pastellrosa Balkonblumen, als wäre es ihr Lebenszweck, alles andere weitestmöglich zu kaschieren. Auf mich wirkten sie mehr wie gierige, fleischfressende Pflanzen, denen man besser nicht zu nahe kam (sofort notieren!).
    Rundum, also tatsächlich in jeder erdenklichen Richtung, türmten sich dunkle, unheimliche Bergmassen auf, nur durch einen Waldgürtel davon abgehalten, direkt aus der Ortsmitte emporzuwachsen wie nackte, bucklige Riesen.
    Ganz W. kletterte an dem Hügel hinauf, auf dessen Kuppe die Kirche stand, was dazu führte, dass es so gut wie keine ebenen Wege oder Straßen gab, sondern dass man sich immer entweder bergauf oder bergab bewegte, und zwar nicht auf glattem Asphalt, sondern auf unebenen Kieswegen ohne Bürgersteig. Die Anordnung der Häuser wirkte schlampig bis willkürlich,
als hätte eines der Bergmonster eine Handvoll Würfel ausgestreut und vergessen, sie danach wieder einzusammeln. Reifriesenspiele! Da das Gewitter das Hereinbrechen der Dämmerung beschleunigt hatte, brannten hinter den meisten Scheiben schon Lichter, doch sie wirkten keineswegs gemütlich oder einladend, sondern vielmehr bedrohlich, als lauerte hinter jedem Fenster eine unbekannte Gefahr. Mich fröstelte trotz meiner neuen roten Lederjacke, und ohne weiter zu zögern betrat ich das Wirtshaus, um Gewitter sowie Trübsal zu entkommen.
     
    »Da haben Sie Glück, bei uns ist tatsächlich noch ein Zimmer frei.«
    Ich nickte unsicher. Der Wirt, Einfach-nur-Sepp, wie er sich vorgestellt hatte, war einer dieser Menschen, bei denen man nie wusste, ob sie das, was sie sagten, ernst meinten oder einen auf den Arm nehmen wollten, wobei er in jedem Fall ein freundliches Lächeln im Gesicht sowie unendliche Gelassenheit in seinen Bewegungen beibehielt. Ein stattlicher, rotwangiger, pausbackiger Naturkerl undefinierbaren Alters, dessen Pupillen, wenn er eine Grimasse zog, in den schmalen Augenschlitzen beinahe verschwanden. Strähnige braune Haare, die sich nicht auf einen Scheitel einigen konnten, hingen ihm seitlich in die Stirn. Ein hässliches, sichtbar altersschwaches Schafwollgilet verlieh ihm eine noch ländlichere Optik. Außerdem sprach er in gefärbtem, aber perfektem Hochdeutsch mit mir, in das ihm zwar ab und zu ein Dialektausdruck rutschte, von dem er aber prinzipiell nicht abwich, wenn er mit »Fremden« sprach. Egal, ob sie aus der Bezirkshauptstadt, der Landeshauptstadt oder einem anderen Teil dieser Welt kamen. »Außerhalb« begann hinter dem Ortsschild.

    »Die Hälfte unserer Zimmer ist nämlich zur Minute belegt. Aber Gott sei Dank verfügen wir ja über zwei Gästeräume, sonst wären wir womöglich ausgebucht.«
    Er lächelte über diesen Witz, und ich hielt es für besser, grinsend zu nicken, bis mir einfiel, was das bedeutete.
    »Also ist außer mir tatsächlich noch ein - äh - Tourist im Ort?«
    »Tourist? Ja, das kann man so sagen, vielleicht aber auch nicht, das kommt ganz darauf an, wie man Tourist definiert.«
    Sepp sprach so langsam, wie er sich bewegte, er dehnte die Silben sehr demokratisch, sodass man nie genau wusste, welche davon Bedeutung hatte und welche nicht.
    »Da drüben sitzt er.«
    Sepp deutete mit einer kleinen Bewegung des ganzen Armes in eine Ecke des Wirtsraumes, wo, kaum zu sehen, im Schatten ein Mann an der Wand saß, den Hut zu tief ins Gesicht gezogen, als dass man von diesem viel mehr hätte erkennen können als zwei funkelnde Augen, die beunruhigenderweise genau in meine Richtung blickten. Oder bildete ich mir das ein? Seine Kleidung war eher unauffällig, eine ausgeleierte Levis, ein schwarzer Pullover, nichts Besonderes, bis auf seine Füße, die in hohen, sehr abgetragen aussehenden Lederstiefeln steckten. Hielt sich wohl für eine Art Cowboy … Vor ihm auf dem Tisch stand eine Dose Coke Zero, aus der er hin und wieder einen Schluck nahm, ohne das Glas zu benutzen, das danebenstand. Noch interessanter war, dass er dabei unaufhörlich auf einem kleinen Notizblock herumkritzelte.
    Grandioses Pech, da war ich wohl auf einen Kollegen aus der schreibenden Zunft gestoßen, was mir für gewöhnlich ungefähr so viel Freude bereitete, wie an einem heißen Sommertag,
in einen vollen Bus mit einer Frère-Jacques-singenden Volksschulklasse gequetscht, durch die halbe Stadt zu fahren. Ding-Dang-Dong.
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