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Jagdzeit

Titel: Jagdzeit
Autoren: Claudia Toman
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bitte schön, willst DU in den Bergen? Du bekommst Blasen, wenn du Wanderwegweiser nur anschaust, nach drei Schritten über Wurzeln und Steine bist du außer Atem, und Tannenduft ist für dich ein komplett indiskutables Klospray. Mädchen, was ist mit deinem drei Jahrzehnte alten Großstadt-Gen?«
    »Du hast ja recht. Aber du kennst doch meine Freundin Xandra …«
    »Ach ja, die mit dem höchst individuellen X.«
    »Xandra hat einen älteren Bruder, der einen Freund hat, der aus einem winzigen Bergdorf bei Salzburg stammt, dort zwar um keinen Preis mehr leben will, aber mich per E-Mail mit seinem Cousin verkuppeln wollte. Aber bevor ich mich jetzt in wochenlange Schreibereien verstricke, fahre ich lieber gleich hin und schau mir den Kerl live an. Darum bin ich jetzt auf dem Weg nach Kleinkaffingen in Mittelnirgendwo.«
    »Wegen einem Mann ?«
    »Ja, denk dir, ich habe das männliche Geschlecht noch nicht ganz abgeschrieben. Ich bin erst dreißig Jahre alt, und solange mir noch keine Zähne ausfallen oder Warzen auf der Nase wachsen, werde ich weitersuchen, ehe die Schwerkraft den Sieg über mein Bindegewebe davonträgt. Auch wenn ich dafür in die feindliche Natur reisen muss.«
    Sorina schnaufte anzüglich.
    »Ein Blind Date in einem Gebirgskaff? Da wünsche ich dir viel Spaß. Ich werfe ›Schlaflos in Seattle‹ ein, trinke eine Flasche
Chardonnay und höre mir danach mit zunehmender Depression peinliche Radiosendungen an, in der Hoffnung auf so ein seltenes, verdammtes Wunder.«
    »Auf Tom Hanks mit Wuschelkopf?«
    »Blödsinn, auf ein Date auf dem Empire State Building!«
    »Es lebe die Großstadt!«
    »Es lebe die Großstadt!«
    Nachdem ich das Gespräch beendet hatte, überlegte ich kurz, die Expedition abzubrechen und in dichter besiedelte, heimatliche Gefilde zurückzukehren, um mich ganz meiner urbanen Einsamkeit widmen zu können: Katze auf dem Schoß, Weinglas in der Hand, Schokolade in Reichweite, meine Lieblingsepisode von »Sex and the City« im DVD-Player und dabei mitsprechen bzw. bei »Moon River« mitplärren, wenn Mister Big sich an die Westküste vertschüsst.
    Andererseits lagen bereits drei Stunden Autofahrt hinter mir, die ohnehin nur mit Hilfe mehrerer Dosen Red Bull zu bewältigen gewesen waren, und ich hatte das dringende Bedürfnis, in einem weichen Federbett bei offenem Fenster, durch das klare, frische Bergluft strömte, friedlich einzuschlafen. Schlafen war definitiv eine grandiose Idee. Von mir aus auch in der realen Welt.
    Vor mir tauchte vermutlich der achtundsiebzigste Tunnel auf. Jeder davon hatte mich tiefer in dieses Abenteuer hineinkatapultiert, das eigentlich überhaupt nicht mein Stil war. Ich glaube nicht an Internetbekanntschaften, und Blind Dates sind mir sowieso ein Gräuel. Mit irgendeinem wildfremden Polohemdträger verzweifelt nach Gesprächsthemen suchen, während man permanent überlegt, wie lange man sitzen bleiben muss oder wie oft man aufs Klo gehen kann, ohne als Freak zu gelten, beziehungsweise grob unhöflich zu wirken. Bäh!

    Trotzdem blinkte ich und nahm die Autobahnabfahrt in das Tal, an dessen Ende, in einem geräumigen Kessel, das kleine Dorf W. lag. Warum?
    Ich gebe zu, dass das rauschende Fest zu meinem dreißigsten Geburtstag zwar in Sachen Unterhaltung keine Wünsche offengelassen hatte (wie übrigens ebenso in Sachen Alkoholkonsum oder peinliche Auftritte), dass ich mir aber jedes einzelne Glas Bellini selbst hatte einschenken müssen und von den Begleitern Schrägstrich Ehemännern meiner weiblichen Bekannten demonstrativ mitleidig begutachtet worden war.
    »Und, Olivia, schläfst du dann in der Mitte des Doppelbettes oder auf einer Seite? Ist das nicht deprimierend ?«
    Mehrere miteinander verschweißte Pärchenwesen mit Glupschaugen warteten gierig auf meine Antwort.
    »Für gewöhnlich schlafe ich auf der Seite, die meine Katze LaBelle mir übrig lässt. Ihr Schnurren hat eine beruhigende Wirkung, es ist fast meditativ. Erspart mir ein Vermögen für Schlaftabletten. Und was unternehmt ihr so gegen das lästige Schnarchproblem?«
    Das Triumphgefühl hielt nur kurz an. Denn in Wahrheit lag ich viele Nächte wach, die Stille weckte mich unweigerlich, und Scheidungszahlenzählen half nur bedingt.
    Ich war allein. Diese unleugbare Tatsache hatte mich so frustriert, dass ich noch vor Mitternacht beschlossen hatte, an diesem nun schon fast chronischen Einzelgängerdasein baldigst Änderungen vorzunehmen. Nach zwei gescheiterten Beziehungen und einer
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