Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Jagdzeit

Titel: Jagdzeit
Autoren: Claudia Toman
Vom Netzwerk:
Essen nach Mitternacht. Essen allein. Besonders das.
    Meine Freundin Pauline, die Stammkundin bei Übergrößen-Modehäusern ist, hat kürzlich eine Theorie aufgestellt: Das Singleleben ist schuld an unseren Kilos, weil wir neuen Singles den Großteil unserer Mahlzeiten vor dem Fernseher einnehmen, um uns nicht so schrecklich einsam zu fühlen. Dadurch fallen jedoch klassische Hauptmahlzeiten weg, stattdessen konsumieren wir Häppchen, mundgerechte Kleinstportionen, über die wir natürlich den Überblick verlieren. Das hat zur Folge, dass wir am Ende des Abends weit mehr gegessen haben als jemand, der Suppe, Hauptspeise und Nachtisch in Form eines geregelten Dinners verzehrt, zumal unsere Häppchen ja Trosthäppchen sind. Und was bringt mehr Trost als Alkohol und Schokolade? Folge dieser Lebensweise ist jedoch, dass wir optisch immer weniger attraktiv und damit immer prädestinierter für ein fortgesetztes Singleleben sind. Ein Teufelskreis. Ein Häppchenkreis, genau genommen.

    Das alles interessierte mich jedoch kein bisschen, als ich etwas später, frisch geduscht, in Embryonalhaltung in meinem Hotelbett lag und mittels meditativer Techniken versuchte, die spöttisch verzogenen Mundwinkel des unverschämten Schnüfflers aus meinem Gedächtnis zu verbannen. Ganz gelang mir das nicht, weil sich das Ablenkungsprogramm meines Luxusquartiers als äußerst umfangreich herausstellte.
    Mein Bett war hart und quietschte bei jeder Bewegung. Dafür war die Bettdecke viel zu dick und roch muffig, was mir allerdings nur auffiel, weil ich die Nase tief hineindrückte, um nicht den Wirtshausgestank einatmen zu müssen, der wie eine Wolke im gesamten Haus hing. Vermutlich hatte er sich bereits in allen Wänden eingenistet. Bier, Rauch und zu weich gekochtes Gulaschfleisch.
    Das einzige Fenster zu öffnen war keine Option, da der Regen immer noch wild dagegenprasselte und ich beim Versuch, es zu kippen, bereits durch und durch nass geworden war. Anscheinend war die Kippvorrichtung ausgeleiert. Am Interessantesten jedoch war ein klopfendes Heizungsrohr. Mit der Absicht, die Heizung auszuschalten, um überhaupt schlafen zu können, war ich auf Knien unter dem wackeligen Holztisch herumgekrochen, der direkt unter dem Fenster stand, und hatte den Heizungsregler schließlich hinter einem noch wackligeren Kasten gefunden. Zusammen mit einer frisch bestückten Mausefalle. Na, prost Mahlzeit!
    Während ich, nun ohne Decke, in dem stinkenden, hoffnungslos überheizten Raum lag und angestrengt auf das Geräusch winziger, trippelnder Mäusepfoten lauschte, war ich, nicht zum ersten Mal übrigens, der Meinung, in meinem Leben gäbe es so einiges grundsätzlich zu überdenken. Ich kramte
in der Handtasche nach meinem Kugelschreiber und schrieb auf die Rückseite einer Tankstellenrechnung:
    Zusammenfassung des vergangenen Tages:
    Unnötige Reisen in schreckliche Gebirgsdörfer: 1
    Männerbekanntschaften aussichtsreich: 0
    Männerbekanntschaften uninteressant: 1
    Emotionale, PMS-bedingte Weinkrämpfe: 1
    Geschriebene Manuskriptseiten für zweiten Roman: 0
    Herrgott, bin ich Bridget Jones oder was???
    Ich zerknüllte den Zettel und rollte mich deprimiert zusammen. Wie ich es dann doch geschafft habe, in einen tiefen, traumlosen Schlaf zu kippen, das weiß ich bis heute nicht.

3 Weißt du, wo du bist?
    Ein Druck auf mein Steißbein weckt mich unsanft, zusammen mit leichtem Harndrang. Kurz bevor ich die Augen aufmache, denke ich, dass ich noch nie in meinem ganzen Leben so tief geschlafen habe. Kein Traum, kein Auf-die-Uhr-Sehen um drei oder vier Uhr früh, keine störenden Geräusche, keine Katzenkrallen am Po, nichts als abgrundtiefe, dichte, satte Dunkelheit. Wären da nicht die Schmerzen in meinem Rücken und meine steifen Glieder, dann wäre dies wohl die erholsamste Nacht meines Lebens gewesen.
    Was mich wiederum zu der entscheidenden Frage führt: Wo bin ich eigentlich? Plötzlich hellwach, öffne ich die Augen. Was ich sehe, irritiert mich sehr, denn genau genommen ist da nichts, außer eng miteinander verwachsenen Baumkronen, die nicht ein winziges Stückchen Himmel durchschimmern lassen. Stamm an Stamm lehnen riesige Nadelbäume (sind das Fichten?) aneinander, dazwischen kämpfen astreiche Birken um ihre Daseinsberechtigung gegen eine Unmenge an Gestrüpp, das seine dornigen Arme nach oben reckt, wie um zu sagen: »Da oben, irgendwo, gibt es eine Sonne, auch wenn wir sie hier unten nie zu sehen kriegen. Aber, what the hell, wer braucht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher