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Jagdszenenen aus Niederbayern

Jagdszenenen aus Niederbayern

Titel: Jagdszenenen aus Niederbayern
Autoren: Martin Sperr
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für so wenig Geld, den findet man nicht einmal in einer solchen Zeit.
    Früher wars der Barbara nicht wichtig, was die Leute gesagt haben.
    Sie hat dem Abram helfen wollen, weil er ihr Kind ist.
    Aber ihm war es egal, wie es ihr ergangen ist. Er hat nie Rücksicht genommen.
    Es ist immer dasselbe mit ihm. Langsam bekommt sie Angst vor ihm.
    Immer sagt er, er will bei ihr leben, und dann macht er Schweinereien mit Männern und dann wollen die Leute, daß er wegkommt. Und sie, die Barbara, muß dann auch weg.
    Eines Tages ist er verschwunden und dann zeigen die Leute mit dem Finger: Die ist die Mutter von dem. Und dann weiß Barbara, daß er wieder eine von seinen Schweinereien gemacht hat. Und solange hat sie die Blicke im Rücken, bis sie in ein anderes Dorf zieht.
    Und immer findet er sie wieder. Und hier wirds auch bald wieder soweit sein. Der Abram denkt nur an sich. Er denkt nur: Ich. Ich. Ich. Sie weiß, es hat auch hier keinen Sinn zu bleiben. Wenn der Abram keine Arbeit gefunden hat und im Dorf bleibt, dann muß sie weg. Es ist immer dasselbe.
    Und es wird immer schlimmer. Er hat solange Schweinereien gemacht, bis er ins Gefängnis gekommen ist.
    Sie steht auf und versucht, zu arbeiten. Aber es ist schon alles sauber. Sie wischt noch einmal die Fensterbretter ab und den Tisch und setzt sich wieder auf die Bank.
    Sie hat den Abram so gern gehabt. Sie weiß nicht, warum er so ist, wie er ist. Sie weiß nur, daß die Leute in den Dörfern, wo sie überall war und gearbeitet hat, nach kurzer Zeit anfingen, ihn auszulachen und zu hänseln, schon als Bub: Er traut sich nichts.
    Niemand wollte mit ihm spielen. Und immer war der Abram allein.
    Von den anderen abgesondert.
    Und das macht er ihr zum Vorwurf. Sie hat ihn nicht abgesondert. Sie hat ihn nur geschützt, denkt sie. Und jetzt kann sie ihn nicht mehr schützen. Er ist alt genug und muß sich jetzt allein durchbringen. Sie könnte auch heute noch sagen: Laßt ihn in Ruh. Aber das nutzt nichts mehr.
    Und sie will auch nicht mehr. Sie will eine feste Arbeit und will wissen, wo sie hingehört. Sie will ihre Ruhe haben. Sie ist zu alt, sie kann sich nicht mehr um ihn kümmern.
    Sie träumt oft von einem Leben mit richtiger Arbeit. Es würde ihr genügen, zusammen mit Abram ein Zimmer zu bewohnen. Das waren sie gewöhnt. Wenn die Leute sie beide in Ruhe ließen, würds schon gehen.
    Aber immer, wenn mit Abram was war, wurde ein Teil der Schuld auf sie abgewälzt. Sie sagt den Leuten, was los ist. Und keiner glaubts ihr, bis etwas passiert.
    Und jetzt ist es schon wieder soweit. Alle reden schon wieder.
    Sie sucht, ob es nicht etwas zu tun gibt. Sie nimmt den Fliegenfänger, der über dem großen Tisch hängt, herunter und zupft die toten Fliegen ab, die daran kleben. Dann hängt sie den Fliegenfänger wieder hin und wirft die toten Fliegen zum Fenster hinaus.
    Barbaras Mann ist gleich am Anfang des Krieges gefallen und sie hat den Abram allein aufgezogen und durchgebracht. Sie hat alles getan, was ihr möglich war, um aus ihrem Sohn einen anständigen Menschen zu machen.
    Sie weiß nicht, was sie falsch gemacht haben soll. Sie hat ihm gut zugeredet. Sie hat ihn eingesperrt. Sie hat ihn geschlagen. Warum werfen ihr die Leute vor, daß sie ihn als Kind geschlagen hat. Das machen alle, es ist normal. Wie schnell sind alle andern gegen einen.
    Man muß die Kinder manchmal schlagen. Wie soll man sich denn sonst durchsetzen. Sie hat ihn eher verzogen. Das schon. Er war der einzige Mensch, den sie hatte. Sie hat alles für ihn getan, obwohl sie allein war. Ohne Mann. Und da gibts kein Pardon.
    Sie hat sogar geschafft, ihm während des Krieges eine Lehre als Friseur zu verschaffen. Sie wollte nicht, daß er so grobe Arbeit machen muß, ein Leben lang, wie sie und sein Vater.
    Sehr lange wollte sie nicht einsehen, daß der Abram anders geworden ist, als sie es sich vorgestellt hat. Was soll sie tun?
    Sie war in den ersten Jahren, und besonders als Abram gleich nach dem Krieg ins Gefängnis mußte, verzweifelt. Sie versuchte, alles zu vertuschen. Und solang der Abram im Gefängnis war, ist ihr das auch gelungen.
    Und das war Barbaras ruhigste Zeit. Ohne Vorwürfe. Zwei Jahre lang.
    Sie hat ihm Briefe geschrieben und ihm Pakete geschickt.
    Sie hat sie an eine Verwandte in Straubing geschickt, wo das Gefängnis ist. Und die hats dann weitergegeben an Abram. Sie konnte nicht die richtige Adresse draufschreiben, sonst hätte die Postbotin was gemerkt.
    So hat niemand im Dorf
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