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Jagdszenenen aus Niederbayern

Jagdszenenen aus Niederbayern

Titel: Jagdszenenen aus Niederbayern
Autoren: Martin Sperr
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für ihn das Weiterleben unter den bestehenden Verhältnissen erträglicher. Impulse, die die überkommene Ordnung gefährden könnten, werden auf diese Weise abgeschwächt und es kann alles bleiben wie es ist. Jeder von uns kann heute in seiner Umgebung Verhaltensweisen beobachten und Ansichten hören, die auf Grundhaltungen hinweisen, die denen der Reinöder sehr ähnlich sind. So ist in vielen Betrieben unter den Arbeitenden eine Konkurrenzeinstellung vorherrschend, die zu gegenseitigem Mißtrauen, Neid und Argwohn führt. Wachgehalten und verstärkt wird diese Einstellung durch Unterschiede im Gehalt und in der Art bzw. Ausstattung des Arbeitsplatzes. Der eine hat ein Zimmer für sich, der andere nicht, dem einen steht ein Drehsessel zur Verfügung, dem anderen nur ein einfacher Stuhl usw. Jeder denkt hauptsächlich an sein eigenes Fortkommen – es fehlt an Solidarität zwischen den Arbeitenden; man ist gleichgültig gegenüber dem Schicksal des Nebenmannes. Man freut sich gar, wenn er durch einen Mißerfolg als bedrohlicher Konkurrent ausfällt. Eine Gruppe, in der die Einzelnen weitgehend voneinander isoliert sind, wird kaum in der Lage sein, gemeinsame Interessen zu erkennen, auszusprechen und wirksam zu vertreten. Dadurch wird die Erhaltung der bestehenden Verhältnisse gesichert.
    Auch außerhalb der Arbeitssphäre ist ein Wettbewerb- und Konkurrenzdenken weit verbreitet, das ein gegenseitiges Wohlwollen erschwert und Mißgunst, Feindseligkeit und Angst fördert. Beispielsweise kann man überall das Bemühen beobachten, sich in der Größe des Autos, in der Wohnungsmöblierung, der Kleidung, gegenseitig zu übertreffen. Anschaffungen von Nachbarn werden zum Gegenstand von Neid und Klatsch. Man baut voreinander Fassaden auf, die engere Beziehungen erschweren und Solidarisierung verhindern, durch die man zum Beispiel gegen überhöhte Forderungen eines Hausbesitzers vorgehen könnte.
    Beispiele für Mangel an Verantwortungsgefühl, für zu geringe Bereitschaft zur Verteidigung fremder oder auch eigener Rechte kann man ebenfalls oft beobachten. Ich denke an den Arbeitnehmer, der von einem Vorgesetzten beschimpft wird, und nicht aufzumucken wagt und auch von keinem Kollegen Unterstützung erhält; an den Soldaten, der vor den Augen seiner Kameraden fertiggemacht wird, ohne daß jemand für ihn einträte; an den Schüler, der zusieht, wie seine Kameraden einen schwachen Lehrer peinigen, obwohl er das für Unrecht hält; an den Passanten, der auf der Straße Zeuge einer Schlägerei wird und nicht eingreift, obwohl er sieht, daß jemand dabei ernsthaften Schaden erleidet.
    Gegenüber den bestehenden Ordnungen sind unter uns viele ähnlich eingestellt wie die Reinöder. Man nimmt recht häufig gegebene gesellschaftliche und politische Verhältnisse als unabänderlich hin und seufzt nur resigniert: Da kann man ja doch nichts machen; die da oben tun doch, was sie wollen. Oder der Protest beschränkt sich auf Schimpfereien am Stammtisch. Dabei wird nicht geprüft, ob die überkommenen Ordnungen den gegenwärtigen und künftigen Bedürfnissen aller wirklich gerecht werden. Der Grund für die Zugkraft eines Slogans wie »Keine Experimente« liegt in solchen Tendenzen. Von seiten der wirtschaftlich und politisch mächtigen Gruppen in unserer Gesellschaft darf man kaum erwarten, daß sie sich für eine grundlegende Änderung der Verhältnisse einsetzen. Unternehmer werden kein Interesse am Abbau von Konkurrenzeinstellungen und gegenseitigem Mißtrauen zwischen ihren Arbeitnehmern haben. Sie werden auch wenig Veranlassung sehen, auf eine Solidarisierung der Arbeitnehmer hinzuwirken, denn Konkurrenzhaltungen wirken produktionssteigernd. Eine solidarische Gruppe könnte sich wirksam für ihre Interessen einsetzen, während isolierte Einzelne weitgehend machtlos sind. Der Konsumwettbewerb, d. h. das Streben, sich gegenseitig in der Größe des Autos, der Kostspieligkeit der Wohnungseinrichtung und Kleidung usw. zu übertreffen – liegt im Interesse der Industrie. Das wird von ihr durch die Werbung gefördert, weil sich damit ihre Gewinnmöglichkeiten auf dem Markt erhöhen. Die ständige Beschäftigung weiter Bevölkerungskreise mit dem Konsum, wirkt sich für die Nutznießer der herrschenden Ordnung auch insofern günstig aus, als dadurch das Interesse von politischen Fragen abgelenkt wird. Wer sich um die Bezahlung der fälligen Teilzahlungsraten sorgt, sich über Neuanschaffungen im eigenen und im nachbarlichen Haushalt
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