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Jagdszenenen aus Niederbayern

Jagdszenenen aus Niederbayern

Titel: Jagdszenenen aus Niederbayern
Autoren: Martin Sperr
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Knocherl und Georg bringen auf einer Bahre Tonka herein. Der Bürgermeister deckt das Gesicht auf. Ob er zugibt, dieses Mädchen ermordet zu haben.
    Abram sagt ja.
    Er wird mit Handschellen gefesselt und in das Auto gebracht.
    Rovo wird nicht im Friedhof begraben. Der Pfarrer hats nicht gestattet. Ein Selbstmörder darf nicht in geweihten Boden.
    Maria streitet deswegen mit dem Pfarrer. Rovo war katholisch. Sie hat immer die Kirchensteuer für ihn bezahlt. Er war krank.
    Sie will, daß der Rovo wenigstens einen Segen bekommt.
    Und sie droht, daß sies überall erzählt, daß sich der Pfarrer nicht an das hält, was er auf der Kanzel sagt: Daß ein Katholik ein Recht hat auf ein geweihtes Grab.
    Schließlich gibt der Pfarrer dem Rovo einen Segen. Knocherl schaufelt das Grab zu. Maria weint. Was für einen Sinn hat es gehabt, daß sie ihn durchgebracht hat. Was bringt er sich selber um. Vielleicht ist es besser für ihn. Ewig lebt sie auch nicht. Und dann wär er in eine Anstalt gekommen. Es ist wirklich besser für ihn.
    Der Knocherl ist fertig und stellt ein provisorisches Kreuz auf.
    Maria wird ihm ein schönes geschnitztes Holzkreuz aufstellen lassen, dem Rovo. Die Leute kommen und wünschen der Maria Herzliches Beileid. Und dem Volker auch. Er gehört jetzt dazu. Der große Saal im Wirtshaus ist am Erntedankfest für den Tanz gerichtet. Fast alle sind da. Zum Feiern. Das Kopfgeld für Abram wurde der Gemeinde zugesprochen, denn alle zusammen haben ihn gefangen. Es wird für einen allgemeinen Zweck verwendet. Man ist darüber einig, daß von dem Geld die Orgel gerichtet werden soll, damit in der Kirche wieder richtig gesungen werden kann.
    Der Bürgermeister benutzt die Gelegenheit zu einer Rede.
    Dieser bedauerliche Vorfall hätte in jeder Gemeinde passieren können. Man hat es nicht vermeiden können, denn dieses Vorkommnis hat Gott der Gemeinde auferlegt. Die Ernte war dieses Jahr schön, und die meisten haben mit Gewinn gearbeitet. Und sonst ist auch wieder Ruhe im Dorf. Man muß Gott dankbar sein, da dieses Jahr doch noch so erfolgreich geworden ist.
    Die Leute prosten sich zu. Und es kommen Stimmen auf, daß der Abram vergast gehört. Kastrieren hätte man ihn sollen. Das Zipferl wegschneiden. Die Paula bedauert die Tonka. Mit einem Mörder als Freund. Sie war ihre beste Freundin. Die Metzgerin sagt, sie hätte die Tonka auch gut leiden können.
    Die Verurteilung Abrams wird im Dorf mit großer Genugtuung aufgenommen. Manche sind der Meinung, daß lebenslänglich zu wenig ist. Daß die Todesstrafe wieder her muß.
    Aber im großen und ganzen ist man zufrieden. Der Bürgermeister betrachtet seine Gemeinde. Gut ist es, daß die zwei weg sind, die Tonka und der Abram. Da kam die Stadt schon aufs Land raus. Schaukeln für die Kinder hängen in den vollen Scheunen vom Bürgermeisterhof. Und es gibt knusprige Ausgezogene, die im Schmalz herausgebacken werden.
     
NACHWORT VON DIETER HESSE
    (1971)
     
    Mancher Leser der »Jagd auf Außenseiter«, der durchaus den gesellschaftskritischen Anspruch erkennt, mag das Werk von der Thematik her für etwas überholt ansehen und einen Bezug zu politischen Problemen unserer Zeit vermissen. Vielleicht argumentiert er: »Abrams Geschichte kann sich nur in einem kleinen, abgelegenen Dorf wie Reinöd ereignen, dessen rückständige Bewohner wegen ihrer geringen Zahl eine totale gegenseitige Kontrolle ausüben, was ein abgeschirmtes Privatleben unmöglich macht und ein Klima des Terrors entstehen läßt. In größeren Ortschaften und vor allem in Städten, in denen eine aufgeklärte und fortschrittliche Atmosphäre herrscht, sind Vorkommnisse wie die in Reinöd kaum denkbar.«
    Meines Erachtens wird diese Ansicht der Erzählung von Sperr nicht gerecht. Zwar hat die Reinöder Szenerie ihre Besonderheiten, die woanders kaum zu finden sein werden. Doch einige in den »Jagdszenen« beklemmend eindringlich hervortretende Grundhaltungen der Reinöder, die die Stimmung im Dorf maßgeblich beeinflussen und ohne die Abrams Tragödie nicht möglich wäre, sind weit verbreitet, sicher auch in den großen Städten. Es sind die Einstellungen und Verhaltenstendenzen, die wesentlich dazu beigetragen haben, daß es zu den Grausamkeiten und Verfolgungen des 3. Reiches kommen konnte. In jeder Gruppe – sei es eine Familie, Gemeinde, politische Partei oder ein Staat – haben sich Gewohnheiten, Regeln, Sitten, ungeschriebene und geschriebene Gesetze herausgebildet, die jeweils für einen Teil der
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