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Jagdszenenen aus Niederbayern

Jagdszenenen aus Niederbayern

Titel: Jagdszenenen aus Niederbayern
Autoren: Martin Sperr
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aus. Der Bürgermeister macht das für alle. Hamsterer ziehen über das Land und kaufen Butter, Schmalz, Eier und andere Lebensmittel auf. Der Tauschhandel blüht, und Teppiche, Pelze, Klaviere und Möbel kommen aufs Land.
    Die Frauen tragen die Hauptlast der Arbeit: Auf den Feldern, in den Häusern und im Wald. Die Männer sind meistens auf der Suche nach zusätzlicher Arbeit in der Stadt. Um noch Geld dazu zu verdienen, damit das Notwendigste angeschafft werden kann. Die kirchlichen Organisationen arbeiten wieder. Kranke Kinder aus der Stadt kommen aufs Land zur Erholung.
    In der Kirche wird gesammelt für die Kriegsgräberfürsorge. Der Pfarrer will, daß die Gemeinde für die Orgelreparatur einen Zuschuß zahlt. Die Kirche ist reich genug, meinen die Leute. Der Pfarrer solls selber zahlen. Der Bürgermeister schließt sich dieser Meinung an, weil sowieso kein Geld da ist. In den Wirtshäusern reden die Leute über den Krieg. Man hört die Namen von fremden Ländern. Im Suff wird manchmal in fremden Sprachen gegröhlt. Schicksale werden zum besten gegeben. Hin und wieder fragt einer, warum es zum Krieg gekommen ist.
    Die Meinungen darüber sind sehr verschieden. Selten hört man, daß zu einem Krieg ein Volk nötig ist. Daß ohne das Volk kein Krieg geführt werden kann. Daß ein Krieg nur funktioniert, wenn das Volk mitmacht.
    Denn alle hatten sie mitgemacht. Die Frauen sind von den Gesprächen im Wirtshaus über den Krieg ausgeschlossen. Der Krieg ist Männersache.
    Es ist zu hören: Vom Schießen, Stechen, vom Spritzen, vom Eindringen, vom Überrollen, Aufreißen. Vom Stillgestanden in einem Glied bis zum Tod: Bis dahin, wo sich das Glied entlädt mit den Gewehren, die keine Ermüdung kennen, den Granatwerfern, den Maschinengewehren.
    Sie erzählen auch vom Umbringen und von Wunden. Manche können sich nur schwer daran gewöhnen, daß der Krieg aus ist. Daß das Leben weitergeht: Ohne Feind und ohne die anderen Kerle und das, was sie Kameradschaft nennen.
    Der Krieg wird Anlaß für die Anekdoten der Lebenden.
     
2
     
    Auf einem Hügel außerhalb des Dorfes am Waldrand liegt der Schmellerhof, der weithin sichtbar ist. Der Hof ist groß. Zwei Scheunen, ein Schweinestall und ein Kuhstall, ein Geräteschuppen und zwei Hühnerhäuser. Hinter dem Schweinestall haben die Schweine einen Auslauf. Ebenso die Kühe. Vom Wohnhaus bis zur Straße, die zum Dorf führt, reicht ein Obstgarten. Die Zwetschgen werden reif. Das Obst verkommt, seit der Bauer eingezogen worden ist. Er ist als vermißt gemeldet. Seit der Krieg zu Ende ist, muß die Schmellerbäuerin, die Maria, die Arbeit wenigstens nicht mehr ganz allein machen. Sobald das Gesuch bewilligt ist, will sie ihren Knecht Volker heiraten. Das Gesuch, daß ihr Mann für tot erklärt wird.
     
    Rovo sitzt auf einem Zwetschgenbaum und wartet.
    Der Hof summt von Bienen. Er hört, wie die Tiere schreien.
    Er hört zu. Er weiß, welches Tier schreit.
    Er ist unruhig. Mutter will wieder heiraten.
    Er betrachtet die Wolken. Über dem Wald ist Dunst.
    Der Wald dampft in der Hitze.
    Die Felder liegen teilweise schon brach.
    Rovo sieht, wie sich das Schilf unten am Weiher biegt.
    Es wird ein Gewitter geben.
    Der Klee blüht zum zweiten Mal. Lila.
    Der Rovo kennt alles. Sorgfältig prüft er, ob nicht Ameisen auf dem Ast kriechen, auf dem er sitzt.
    Er nimmt einen dürren Zweig vom Ast und zerdrückt einen Wurm. Er schiebt das Zerdrückte in die pralle Sonne.
    Rovo rottet auf dem Hof die Insekten aus. Fleißig sucht er Bäume und Maschinen ab und tötet. Würmer, Fliegen, Käfer und Ameisen. Am meisten Angst hat Rovo vor den Ameisen. Nachts träumt er davon, daß sie ihm in die Augen kriechen. Im Sommer sind sie überall im Haus. Manchmal hat er das Gefühl, daß etwas in ihm frißt. Der Zwetschgenbaum hat dieses Jahr viele Früchte. Lange sitzt Rovo. Es ist heiß und schwül. Die Tiere schreien. Immer in gewissen Abständen.
     
    Jetzt wo der Hof leer ist, weil die Mutter und Volker auf dem Feld sind, schreit Rovo mit. Er schließt die Augen und antwortet den Tieren. Als die Sonne nicht mehr so hoch steht, springt Rovo vom Baum. Er rennt zu den Kühen und lockt sie mit Löwenzahnblättern zu sich. Nach kurzer Zeit läßt er sie stehen und rennt ins Haus, in die Küche. Er kocht das Schweinefutter fertig und prüft die Kartoffelsuppe und tut noch Majoran hinein. Dann läuft er wieder hinaus und steht in der Sonne im Garten und läßt sich bescheinen. Und beginnt, in den Boden zu
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