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Jagdszenenen aus Niederbayern

Jagdszenenen aus Niederbayern

Titel: Jagdszenenen aus Niederbayern
Autoren: Martin Sperr
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Arzt hat gesagt, die Angst würd den Rovo dumm machen. Und noch ein paar solche Sachen. Das hat Maria selber gewußt. Sie wollte, daß ihr der Arzt hilft. Der hat aber nur gesagt: Anstalt. Aber das wollte sie nicht. Sie hatte gehört, daß in diesen Anstalten Versuche gemacht werden, bei denen die Menschen Schmerzen haben. Und sterben an den Versuchen.
    Kurz nach der Machtergreifung Hitlers am 1. 4. 1933 wurde durch das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« die zwangsmäßige Sterilisation (Unfruchtbarmachung) von Frauen angeordnet, die schwachsinnige Kinder zur Welt brachten. Ab 1933/34 setzte eine intensive Propaganda in der Öffentlichkeit für diese Maßnahme ein. Die Geldmittel für die Heilanstalten wurden radikal gekürzt.
    Ab 1939 wurde die Meldepflicht eingeführt, nach der Ärzte und Hebammen Mißgeburten und Geburten von debilen Kindern nach Berlin melden mußten. Dort entschied ein Ausschuß über die Tötung. Insgesamt gab es 21 Krankenhäuser mit Fachabteilungen zur Tötung von geisteskranken Kindern. Während des Dritten Reiches wurden etwa 5000 geistesgestörte Kinder umgebracht.
    Die Tötung von 80-100000 geistesgestörten Erwachsenen in der Zeit von 1939 bis 1941 wurde von der Aktion T 4 durchgeführt. Als geistesgestört galten zum Teil auch Homosexuelle und politische Gegner des Regimes. Die Diagnose der staatlichen Mörder hieß in beiden Fällen: geistesgestört. Das Stammpersonal der Aktion T 4 übernahm schließlich die Endlösung der Judenfrage im Osten. 6 Millionen Juden wurden während der Zeit des Dritten Reiches umgebracht.
     
    Gleich nach dem Krieg hat sie Rovo doch in eine Anstalt getan. Da war sie sicher, daß sowas nicht mehr passiert, mit den Versuchen. Aber genützt hat die Anstalt nichts. Es war nur teuer.
    Jetzt will sie für den Rovo kein Geld mehr ausgeben. Sie reibt ihn jetzt mit Brennesseln ab. Das ist ein altes Hausmittel und ist billig. Das hat auch geholfen. Danach war er still.
    In den letzten Tagen ist immer etwas los mit ihm. Entweder hat er etwas kaputt gemacht, oder er ist nicht zu finden bis spät in die Nacht, oder er hat sich verletzt. Mutwillig. Manchmal schneidet sich der Rovo mit dem Messer tiefe Wunden. Sie weiß nicht mehr, was sie mit dem Jungen machen soll.
    Wenn sie nicht schlafen kann, würde sie gerne mit dem Rovo sprechen. Aber er liegt stocksteif im Bett und rührt sich nicht. Manchmal hatte sie schon Angst, er sei gestorben. Sie legt dann das Ohr auf seine Brust. Aber dann hört sie, daß sein Herz ganz laut und regelmäßig schlägt.
    Volker sagt, daß der Rovo wieder in die Anstalt soll. Er wäre da besser versorgt.
    Manchmal überlegt Maria das auch. Sie weiß nicht, ob sie ihn weggeben soll. Das Geld reicht gerade. Sie kann keine Anschaffungen machen und auch die Maschinen nicht reparieren lassen. Und weil der Rovo so eine Angst davor hat, will sie das nicht nochmal tun.
    Höchstens wenn es wieder so schlimm wird wie damals, als er mit dem Messer auf die Tiere losgegangen ist.
    Als sie ihm gesagt hat, daß der Vater nicht wiederkommt.
    Sie kann es nicht ändern, daß der Rovo sich nicht daran gewöhnen kann, daß der Volker im Haus ist. Sie braucht den Volker. Sie kann wegen dem Rovo nicht ins Kloster gehen. Sie kann nicht ins Kloster gehen. Die Arbeit auf dem Feld ist schwer, und der Volker tut was er kann. Und er läßt den Rovo in Ruhe, wenn der Rovo ihn in Ruhe läßt. Sie mußte schon zwei Knechte hinauswerfen, weil sie den Rovo drangsaliert haben.
    Maria sieht zur Männerseite hinüber. Volkers Holzbein steht in den Gang rein.
    Sie ist froh, daß sie wieder einen Mann hat. Es wird schon wieder werden.
    Die Predigt des Pfarrers ist so, daß Maria nicht mehr zuhört. Die Metzgerin schaut zu ihr herüber. Der Pfarrer spricht vom Sittenverfall. Reden ist einfach.
    Und alle warten, ob sie zur Kommunion geht. Maria geht zur Kommunion. Sie geht aufrecht nach vorn und kniet sich in die Bank. Sie war vor dem Hochamt beim Beichten. Es ist ihr Recht, daß sie den Leib des Herrn bekommt. Die Leute sollen nicht reden.
    Vor dem Krieg war der Schmellerhof ein gutgehender Betrieb mit den meisten Maschinen im Ort. Der Hof war schön. Früher.
    Den Kuhstall hat ihr Mann für 28 Stück Rinder gebaut. Jetzt steht er fast leer. Sie hat nur mehr acht Kühe. Die anderen mußte sie verkaufen. Die Maschinen hat sie zum Teil auch verkauft oder sie stehen herum und rosten und verlieren ihren Wert. Maria muß rechnen. Sie kann sich keine Tagelöhner nehmen,
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