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Jagdszenenen aus Niederbayern

Jagdszenenen aus Niederbayern

Titel: Jagdszenenen aus Niederbayern
Autoren: Martin Sperr
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stampfen. Er dreht sich um sich, immer schneller, sein Atem geht leicht und er singt. Unvermittelt hört er damit auf und beginnt die Hühner zu füttern.
    Rovo freut sich auf morgen. Morgen ist Sonntag. Rovo rennt über die Felder.
    Er hat den Kopf tief gesenkt und sieht, wie die Bilder wechseln, wie seine Füße über die Gräser fliegen, wie die Bäume fliegen. Immer tiefer gellt er mit dem Kopf . Immer schneller wird sein Tempo. Bis ihm schwindlig wird. Er fällt und schreit wie die Tiere am Mittag.
    Dann zuckt er ein wenig, der Speichel läuft aus seinem Mund, und dann liegt er still. Er sieht den Wolken nach, die sich verändern und auflösen. Er versucht zu begreifen, was sich da verändert.
    Rovo will fliegen. Zu seinem Vater. Mutter macht Vater tot.
    Er steht auf. Er will sehen, wie seine Füße fliegen. Vor dem Dorf am Weiher bleibt er stehen. Er betrachtet den Bombentrichter neben dem Weiher, in dem sich Wasser gesammelt hat.
    Aus dem Weiher wurden vor ein paar Jahren zwei Leichen herausgezogen. Sie waren schon vermoost. Sie waren von Bomben getroffen worden. Rovo langt in das Wasser und reißt Schlingpflanzen heraus und läßt das Wasser über den ganzen Weiher hin Kreise ziehen.
    Wenn er Fische fängt fürs Mittagessen, dann sitzt er unter der Weide, deren Äste ins Wasser hängen. Und wenn die Flugzeuge kommen, versteckt sich Rovo unter den Weidenästen. Rovo weiß, daß immer Gefahr da ist, wenn die Flugzeuge kommen. Unter den Ästen hat er seine Angel versteckt und einen Spiegel, in dem er sich oft anschaut. Er versucht rauszufinden, was mit ihm ist.
    Rovo liest viel. Was ihm der Pfarrer gibt. Heiligenlegenden und die Zeitung. Manchmal vergißt er dann, das Essen zu kochen. Oder beim Angeln den Fisch herauszuziehen. Der Vater hat ihm beim Fischen das Lesen beigebracht und das Einmaleins. Rovo ist stolz, daß er nicht in die Schule gehen mußte. Seit der Vater weg ist, ist Rovo allein. Höchstens mit der Mutter und dem Pfarrer kann er noch reden und mit dem Untermieter, dem Abram. Aber der ist selten da. Der Abram ist meistens in Landshut. Der Rovo redet gern mit dem Abram. Rovo wirft einen Stein über das Wasser.
    Der Stein hüpft, und der Rovo denkt an seine Füße. Im Weiher sind Karpfen. Rovo ist geschickt beim Fische fangen, das hat ihm der Vater auch beigebracht.
    Er kann den Fisch auch kochen. Rovo denkt an die Leichen und an die Fische. Manchmal kann der Rovo die Fische nicht essen. Seine Mutter ist immer froh, wenn er was gefangen hat.
    Manchmal schenkt sie ihm Geld dafür oder Schokolade. Manchmal schenkt ihm der Volker auch was, aber selten. Meistens sagt er, es wäre sowieso so wenig, zu was der Rovo zu gebrauchen war. Er müsse auch was tun, oder der Hof verkommt. Eine Zeitlang hat der Rovo dem Volker die Schuhe versteckt. Als sie ihm eines Tages draufgekommen sind, daß er dem Volker das Holzbein versteckt hatte, wurde er verprügelt. Von der Mutter und dem fremden Mann. Dann hat der Rovo einmal die Hennen vergiftet mit Giftweizen und zur Mutter gesagt, das war der Volker gewesen, und danach wurde er auch verprügelt. Seitdem läßt Rovo alles, wie es ist. Der Volker hat ein Holzbein vom Krieg. Mutter sagt, Volker wird später eine richtige Prothese bekommen.
    Weil der Rovo nachts nicht schlafen kann, muß er im selben Bett liegen wie die Mutter und der fremde Mann.
    Rovo tut immer so, als ob er schläft. Und weil die Ameisen nichts machen können, wenn er die Augen zu hat.
    Manchmal liegt der Rovo steif im Bett, weil er fühlt, wie die Fliegen in der niedrigen Kammer sich in seine Ohren setzen und auf die Lider und auf die Lippen. Dann wischt ihm die Mutter den Schweiß von der Stirn.
    Volker kann nicht schlafen, wenn der Rovo mit den Zähnen knirscht.
    Aber man kanns dem Rovo nicht abgewöhnen. Anfangs hat ihn der Volker nachts manchmal geschlagen. Aber es hat nichts genutzt.
    Rovo rennt ins Dorf.
    Er rennt und schreit, daß wieder die Bomben fallen. Dreimal rennt er hin und her: Von der Kirche zum Bürgermeisterhof und zum Dorfplatz und zurück. Es ist heiß, die Leute arbeiten.
    Er schreit, daß die Bomben fallen. Er hat es im Volksempfänger gehört, daß die Flugzeuge kommen. Keiner hört ihm zu.
    Früher haben die Kinder einen Bogen um ihn gemacht, weil er nicht in die Schule gegangen ist. Jetzt lassen sie ihn in Ruhe.
    Manchmal spucken noch die kleinen Kinder auf Rovo. Dann spuckt er zurück und droht ihnen. Die Kinder haben dann Angst und laufen weg. Dann vergißt sie Rovo
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