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Jagdszenenen aus Niederbayern

Jagdszenenen aus Niederbayern

Titel: Jagdszenenen aus Niederbayern
Autoren: Martin Sperr
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sonst. Der Knocherl hält das Essen für wichtiger in dieser Zeit. Wenn Christus jetzt da war, würde er sicher auch sagen, daß man dem Nächsten erst einmal was zum Essen geben soll und dann soll man ihn erst lieben. Knocherl schlägt dem Pfarrer oft vor, die Kirche soll die Armen verpflegen. Aber auf dem Ohr ist der Pfarrer taub.
    Knocherl weiß Bescheid. Seit siebenunddreißig Jahren ist er Mesner. Seitdem hört er jeden Tag die Messe. Er weiß im Schlaf, wann das Gloria kommt und warum und wann die Predigt. Manchmal streitet er sich mit dem Pfarrer über die Liturgie oder über die Bedeutung der Textstellen.
    Aber er erfüllt seine Funktion als Mesner in diesem Ritual mit großem Ernst. Am Sonntag zweimal, bei der Frühmesse und beim Hochamt. Es ist sein Beruf. Er weiß, er ist ein Werkzeug des Pfarrers. Vorne am Beichtstuhl steht das Harmonium und darum gruppiert sich der Kirchenchor. Nach Stimmlagen zusammenstehend. Am Harmonium sitzt die Lehrerin und begleitet mit einer Hand die Gesänge. Mit der anderen Hand dirigiert sie den Chor. Bevor die Orgel beschädigt war, stand der Chor immer auf der Empore. Jetzt wird er beobachtet von den Leuten, und das macht die Sänger nervös. Deshalb gehen die Gesänge manchmal daneben. Oftmals spielt die Lehrerin anders als der Chor singt. Die Leute schütteln dann mit den Köpfen. Meistens wird die Situation von der Bäuerin Zenta und der Metzgerin gerettet. Sie singen in solchen Fällen um die Ehre der Pfarrei.
    Der Alt ist im Reinöder Kirchenchor die Stütze. Der Alt rettet die Einsätze.
    Die verschwitzten Hände der Lehrerin hämmern auf das Harmonium ein, um mit dem Gesang mitzukommen. Bestimmt schaut der Pfarrer schon wieder her. Aber sie kann im Sommer nicht verlangen, daß die Leute regelmäßig zu den Chorproben kommen. Und es ist schwer, die Leute umzugewöhnen von der Orgel auf das Harmonium.
    Sie mögen das Harmonium nicht. Sie wollen die Orgel. Das ist es.
    Die Lehrerin meint oft, sie müsse an dieser Sturheit verzweifeln.
    Sie hat keine Orgel. Und sie hat den Leuten immer wieder erklärt, daß das Harmonium auch ein schönes Instrument ist.
    Aber sie bekommt zur Antwort, daß in der katholischen Kirche die Orgel nötig ist, das war schon immer so gewesen.
    Bei den Proben sind die Leute erschöpft, und die Stimmen klingen nicht mehr schön. Die Erntearbeit ist anstrengend, und sie kann es den Sängern nicht verübeln, wenn sie einschlafen.
    Aber mit Schlafenden kann sie keine Probe machen. Den Leuten macht es zwar Spaß zu singen. Und sie singen dem Pfarrer zuliebe, weil der so schön predigt. Der predigt so schön, daß man sich die ganze Woche vorstellen kann, wie schön es sein könnte. Aber die Kirche ist nicht alles auf der Welt. Die Männer sind nicht da oder sind tot, und die Frauen müssen jetzt die Arbeit von denen auch noch machen.
    Rovo betet. Voller Angst. Für alle, die er mag. Für die Katze. Für den Vater. Für die Mutter. Daß Volker stirbt. Für Abram. Für den Pfarrer. Die Leute mögen die Mutter nicht mehr.
    Sie nennen ihn jetzt manchmal: Armes Vieh.
    Er betet schnell und hastig. Er betet immer lauter.
    In die Stille der Wandlung hinein. Daß der Vater
    kommen soll. Der liebe Gott möcht doch so gut sein.
    Die Metzgerin zischt. Alle starren.
    Der Volker stößt den Rovo mit dem Ellenbogen in die Rippen.
    Der Rovo erschrickt und betet leise weiter.
    Maria weiß, das wird wieder Stoff geben für den Dorftratsch.
    Im Dorf verkauft sowohl der Krämer als auch der Bäcker nichts mehr an den Schmellerhof. Nur weil sie mit dem Volker zusammenlebt. Und weil sie mit einem Toten verheiratet ist.
    Der Schmellerbauer kommt nicht mehr zurück. Das Gesuch ist jetzt schon so lange weg. Man wird ihn für tot erklären. Bestimmt. Dann wird sie den Volker heiraten, und dann hat das ein Ende. Sie kann dem Rovo nicht erklären, daß der Vater tot ist und nicht wiederkommt. Und daß sie deswegen nicht ins Kloster gehen kann. Der Rovo verstehts nicht. Sie weiß nicht mehr, was sie mit dem Rovo machen soll. Es wird immer schlimmer mit ihm. Er kann nicht mehr schlafen. Wacht auf vor lauter Angst. Schreit. Rennt im Haus herum, daß kein Mensch mehr schlafen kann. Dann tut ihm der Kopf weh. Und mit ihr redet er kein Wort mehr. Sie wird nicht mehr zum Arzt gehen mit dem Rovo. Sie hat schon so viel Geld ausgegeben. Kein Mensch hat eine Ahnung, wie teuer Dummheit ist. Für das Geld könnt er studieren.
    Kurz vor Kriegsende war sie das letzte Mal mit ihm beim Arzt. Der
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