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Jagdszenenen aus Niederbayern

Jagdszenenen aus Niederbayern

Titel: Jagdszenenen aus Niederbayern
Autoren: Martin Sperr
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keine Wohnung bekommt.
     
    Das Dorf liegt ruhig. Von Barbaras Kammer aus sieht man den Friedhof. Der Hof des Bürgermeisters grenzt an den Friedhof. Sehr oft bellen nachts die Hunde. Es sind viele Leute unterwegs, die nachts die Felder abernten und die Bauern bestehlen. Wenn die Zeit nicht so schlecht wäre, überlegt Barbara, dann wäre alles einfach. Dann würde Abram auch Arbeit finden.
    Aber sie weiß, daß die Überlegung sinnlos ist, denn die Zeit ist schlecht.
     
5
     
    Der Postomnibus ist die einzige Verbindung, die das Dorf mit den Städten Frontenhausen und Landshut hat. Er verkehrt dreimal am Tag und befördert die Post und Reisende. Der Bus rattert durch die Landschaft. Abram kennt den Weg schon im Schlaf. So oft ist er jetzt schon hin und her gefahren auf seiner Suche nach Arbeit in Landshut.
    Er ist froh, wieder aus der Stadt hinauszukommen. Er freut sich auf Reinöd. Da fühlt er sich wohl. Er hat keine feste Arbeit gefunden in Landshut. Nur für drei Tage. Am Bahnhof Waggons ausladen. Er kann wieder eine Zeitlang leben. Und er hat auch keine Stellung in Aussicht. Er wird nicht so schnell was finden. Seit er im Gefängnis war, will ihn niemand mehr nehmen.
    Früher haben seine Eltern im Bayrischen Wald gelebt. Der Vater hat in Penzberg in Oberbayern in einem Bergwerk gearbeitet und ist nur alle vier Wochen nach Hause gekommen. Und im Krieg ist er bald gefallen. Abram hat ihn kaum gekannt. Es war der Wunsch seines Vaters, daß Abram Friseur werden sollte. Und die Mutter arbeitete schwer, um dem Abram eine Friseurlaufbahn zu ermöglichen, überall wo sie Arbeit fand.
    Abram wäre gern in die Oberschule gegangen. Und Beamter geworden. Oder etwas anderes. Was, wußte er nicht so genau. Aber die Verhältnisse ließen es nicht zu.
    Und so vergaß er die Wunschträume. Er arbeitete ganz gern als Friseur. Der Bus fährt anders als sonst: Immer den gelben Umleitungsschildern nach. Abram will fragen warum, aber es sitzt niemand in seiner Nähe. Den Nachmittagsbus benutzen die wenigsten. Die meisten fahren früh zur Arbeit in die Stadt und abends wieder nach Hause.
    Abram kennt die Dörfer nicht, durch die der Bus fährt ohne zu halten.
    An einer Kreuzung muß der Bus warten. Die Panzer kommen vorbei, deretwegen die Straße umgeleitet worden ist.
    Es sind viele amerikanische Panzer. Abram hat Panzer zum ersten Mal gesehen, als der Krieg aus war.
    Er denkt an die Kriegserzählungen der Männer in den Wirtshäusern: Man lernte Menschen kennen, man entfloh einmal der kleinen Welt des Alltags. Und wer den Krieg überlebte, hatte eine Bewährung bestanden und konnte sich als Held fühlen. Er sitzt im Wirtshaus meistens schweigend da und hört sich die Geschichten an, die die andern erzählen.
    Wenn die andern über Weiber reden, kann er nicht mitreden.
    Wenn sie vom Krieg erzählen, will er nicht mitreden. Gefährlichen Situationen, zum Beispiel Schlägereien, weicht er aus.
    Aber die Männerfreundschaften, die in den Kriegserzählungen vorkommen, faszinieren ihn. Gegen seinen Willen.
    Er mag es nicht, wenn er an Männer denkt. Er liest gern Berichte von Forschungsexpeditionen, von Männergesellschaften, die gemeinsam ein Problem lösen zum Wohle der Menschheit. Abram hatte noch nie einen richtigen Freund. Außer im Gefängnis. Aber der war alt und außerdem hatte er lebenslänglich. Den sieht er nie wieder. Meistens lehnen ihn die Männer ab. Er ist nicht hart und draufgängerisch. Abram ist froh, wenn er nicht auffällt.
    Er trinkt auch nicht soviel wie die anderen, denn wenn er betrunken ist, besteht die Gefahr, daß er sich verrät.
    Er nimmt sich sehr in acht.
    Die anderen Leute können einfach sagen, was sie denken. Er kann das nicht. Er muß sich zurückhalten. Und trotzdem gelingt es ihm nie, das Mißtrauen zu beseitigen: daß er anders ist als die andern. Daß er nicht dazugehört. Abram weiß, daß er anders ist. Daß er sich von den andern unterscheidet. Er weiß, daß er schuld ist. Sonst wär er nicht im Gefängnis gewesen. Abram verabscheut sich selber, wenn er einen sexuellen Drang hat. Früher dachte er noch, daß er allein so wäre. Er hat es immer verheimlicht, daß er so ist. Er kam sich schlecht vor, als er merkte, daß er Männer liebt. Und unnormal. Damals kannte er die Stadt noch nicht. Erst als der Krieg aus war, hat er festgestellt, daß er nicht der einzige war. Daß viele Männer nichts dagegen haben, wenn es heimlich geschieht.
    Im Gegenteil: Die fühlen sich ihm dann überlegen und
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