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Jäger der Nacht

Jäger der Nacht

Titel: Jäger der Nacht
Autoren: Wallace Hamilton
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gegeben.»
    «Wofür hast du sie bekommen? Du brauchst doch nicht rumzuziehen und Almosen annehmen. Wir haben genug Geld, um Sachen zu kaufen.»
    «War kein Almosen. Hab’ ich verdient.»
    «Wodurch haste das verdient?»
    Dennis wurde noch lebhafter. «Botengänge gemacht. Und so was.»
    «Kommt mir faul vor.»
    «Nichts faul dran. Ich hab’ Freunde drüben in der Rowland Street, und die geben mir Jobs.»
    «Ich will, daß du vom Hafen wegbleibst, hörste? Da unten geht Schlimmes vor sich.»
    Ein Anflug von einem Lächeln huschte über Dennis’ Lippen.
    «Du willst doch nicht, daß ich meine Freunde im Stich lasse, oder?»
    «Hör zu, junger Mann, es hat mich ‘ne Menge Ärger gekostet, dieses Haus hier zu kriegen, damit wir in einer anständigen Nachbarschaft leben können.» Millies Stimme wurde lauter. «Und ich will nicht, daß du mit diesem Abschaum da unten am Hafen rumhängst!»
    Dennis’ Stimme wurde erkennbar versöhnlich. «In Ordnung, Mutter.»
    «Nun wasch dich. Abendbrot ist fast fertig.»
    In diesem Augenblick entschied sich Kevin, was er am nächsten Nachmittag machen würde, und das würde er allein machen.
     
    Der Bus zum Hafen fuhr durch die Houghton Street, aber Kevin ging erst einige Blocks von der Schule aus weiter, bevor er einstieg.
    Er wollte von seinen Schulkameraden nicht dabei gesehen werden, wie er auf dem Weg zum Hafen war.
    Im Bus ging er nach hinten und setzte sich, die Schultern hochgezogen. Unverwandt starrte er auf den vorbeirauschenden Verkehr. Er wußte nicht, was ihn erwarten würde, wenn er erstmal am Hafen war. Er wußte nicht, was er machen sollte, wenn er den Bus verließ. Aber er hatte es sich in den Kopf gesetzt, dahinterzukommen, was Dennis so rotzfrech, verschlagen und überlegen machte; und er war überzeugt, daß es was mit dem Hafen zu tun hatte.
    Aber er war nicht nur wegen Dennis neugierig. Es gab da was Geheimnisvolles in ihm, etwas, dem er sich in Laureldale verschlossen hatte. Aber jetzt schien die Fremdartigkeit der Stadt seine Sinne zu wecken, seine Neugier anzustacheln. Welche Macht würde der Hafen ihm geben?
    Der Bus bog um die Ecke und fuhr über das Kopfsteinpflaster der breiten, langen Hafenstraße, an der sich auf der einen Seite mächtige Lagerhallen aus Backstein erstreckten und auf der anderen Seite schräg überdachte Landungsbrücken, unterbrochen von Hafenbecken. In der Mitte der Straße verliefen Eisenbahnschienen, und in der Ferne sah er einige Güterwaggons. Über die Dächer der Landungsbrücken hinweg konnte Kevin die Ladebäume und Schornsteine der festgemachten Frachter sehen und, dahinter, die Masten eines alten Seglers.
    An der Ecke von Hafenstraße und Rowland Street drückte er auf die Signalklingel, um aussteigen zu können. Aber als sich die Tür öffnete, zögerte er und stieg nicht aus, sondern erst einige Blocks später. Seine Hände tief in den Taschen vergraben und die Schultern immer noch hochgezogen gegen den frischen Wind, begann er, auf der Seite der Lagerhäuser den Bürgersteig entlangzugehen. Er wich Lastwagen aus, die zu den Laderampen kamen oder wieder wegfuhren, beobachtete kräftige Männer, die Kisten aus den Lastern in das höhlenartige Innere der Lagerhäuser schleppten. Einer der Männer blieb für einen Moment stehen, als er Kevin entdeckte. Knapp lächelnd fragte er: «He, Kleiner, was machste denn hier so früh?»
    «Nichts», murmelte Kevin, eilte davon und spürte, daß ihm nachgestarrt wurde.
    An einer Ecke weiter unten an der Straße kam Kevin an einer Bar vorbei, deren Flügeltür offenstand, wodurch der Geruch von Bier auf die Straße drang. Kevin spähte rein und sah Männer in Arbeitskleidung entlang des Tresens stehen; jeder hatte einen Fuß auf den Fußlauf gesetzt, und ihre Hintern sahen aufgereiht wie auf einer Perlenschnur aus. Kevin fühlte eine unerklärliche Aufregung in sich, die durch den Rhythmus der Musik aus der Musik‐Box noch gesteigert wurde. Er wollte reingehen und sich unter diese Männer mischen, ihren starken Körpern nahe sein. Aber er wußte, sie würden ihn rauswerfen; er war eben nur ein 15jähriges Kind.
    Er wußte, daß er das nicht mehr lange sein würde. Er mußte sich nun schon rasieren mindestens zweimal die Woche. Und er gab nicht auf, seine Brust zu untersuchen, ob da nicht ein paar Härchen wachsen würden. Zumindest hatte er Haare um seinen Schwanz. Darauf war er stolz. Und seine Stimme hatte einen tiefen Klang und kiekste nicht mehr. Aber er wog erst lumpige 110
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