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Jade-Augen

Jade-Augen

Titel: Jade-Augen
Autoren: Jane Feather
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geschehen wäre, wenn man mir, wie diesem Balg, alle Aufmerksamkeit entzogen hätte. Davon einmal abgesehen, glaube ich, daß er einfach verängstigt ist. Hör auf zu brüllen, Edmund, ich kann mich nicht einmal selbst denken hören.«
    Zu ihrem Erstaunen stellte Edmund das Geheul ein und wischte seine Nase mit den Handrücken ab. Da Taschentücher eine lang schon vergessene Nützlichkeit waren, nahm niemand Anstoß. »Du hast mich geschlagen«, schniefte er vorwurfsvoll. »Das erzähl ich meiner Mutter, wenn es ihr bessergeht.«
    Kit lächelte. »Ja, das kannst du tun. Aber du hast es selbst herausgefordert. Warum kommst du jetzt nicht mit, und wir schauen, ob wir im Bach einen Fisch fangen können?«
    »Ich komme auch mit«, kündigte Annabel an.
    »Damen fischen nicht«, fand Edmund.
    »Soviel weißt du also schon, Master Edmund«, erwiderte Annabel schlagfertig.
    »Damen tragen auch keine Hosen«, fügte er hinzu.
    Annabel lachte. »Nun, damit könntest du recht haben. Aber wo sind hier Damen?«
    Von diesem Nachmittag an bildeten sie ein ungewöhnliches Dreigespann. Edmund aß mit ihnen, schlief in ihrer Ecke und folgte Kit überallhin wie ein anhängliches Hündchen. Wenn er unangenehm wurde, dann schob Kit ihn beiseite, als sei er eine lästige Fliege, und nach und nach wurde das Kind wieder fröhlich und vertrauensvoll. Annabel fand diese neue Seite an Kit interessant, es gefiel ihr. Er hatte erzählt, daß er Kinder immer langweilig gefunden hatte, daß die Aussicht darauf, selbst welche aufzuziehen, ihn mit Schaudern erfüllte hatte, obwohl er annahm, daß er irgendwann einmal diese Verpflichtung als Sohn und Erbe erfüllen müßte. Der neue Kit, dachte sie, würde auf dem Gebiet der Vaterschaft noch für Überraschungen sorgen … wenn das Schicksal ihn für diese Rolle vorgesehen hatte.
    Jetzt, da sie von Zandeh fortritten, saß Edmund bei Kit auf dem Pferd und plapperte mit der aufrichtigen Selbstsucht eines Achtjährigen vor sich hin. Annabel hörte nur halben Ohrs zu. Sie war überzeugt, die Umstände würden sich ändern, aber unsicher, ob zum Besseren oder zum Schlechteren. Irgendeine Auflösung des Konflikts mußte im Gange sein. Wenn Akbar Khan tatsächlich an Boden gewann, dann würde ihre Gefangenschaft wahrscheinlich nur mehr von kurzer Dauer sein. Verlor er jedoch, dann würde er sie bis zum bitteren Ende festhalten. Sie nach Kabul zu holen schien jedoch auf die erste der beiden Möglichkeiten hinzuweisen. Vielleicht würden sie Afghanistan doch noch lebend verlassen. Und dann, was würde aus ihr werden? Mrs. Christopher Ralston bei der Pfarrgartenparty? In ihrer Kutsche Besuche abstatten? Soireen geben? Wohin gehörte sie? Solange sie das nicht herausgefunden hatte, würde ihr Gefühl, daß etwas ganz Entscheidendes immer noch offenstand, nicht zur Ruhe kommen.
    »Düstere Gedanken?« Kits Stimme, leicht, doch mit einem ängstlichen Unterton, durchbrach ihr Sinnen.
    »Keineswegs«, leugnete sie.
    »Lügnerin«, sagte er.
    »Warum lügt Annabel«, ließ sich Edmunds Kinderstimme vernehmen.
    »Ich lüge nicht«, entgegnete sie. »Ich habe mich nur gefragt, wie es wohl an dem neuen Ort sein wird.«
    »Lügnerin«, sagte Kit wieder.
    Sie machte sich dieses Mal nicht die Mühe, sich zu verteidigen. Streng genommen hatte sie ja über ein neues Leben an einem neuen Ort nachgedacht.
    Das Geräusch von Schüssen, die ersten, die sie hörten, seit sie die Rückzugskolonne bei Khoord-Kabul verlassen hatten, erreichte die müde Prozession, als sie bis auf Sichtweite an Kabul herangerückt waren. Akbar Khans Truppen feuerten auf die Balla Hissar, wo Shah Soojahs Sohn als dessen Nachfolger immer noch versuchte, seine Position zu behaupten.
    »Es ist kaum zu glauben, daß wir nun da wieder ankommen, wo wir im Januar aufgebrochen sind«, bemerkte Kit. »Ich hätte nicht gedacht, daß ich diese Stadtmauern je wiedersehe.«
    Wie viele Tote lagen zwischen dem Aufbruch und der Rückkehr, dachte Annabel. Vielleicht war es ihr Schicksal, für immer in diesem Land umherzuziehen. Aber solche Gedanken gediehen nur auf dem Boden der Erschöpfung.
    Die Festung von Abdul Rahim entsprach ihren Erwartungen. Der Zenana mit seinen schönen Gärten und einer Reihe von bequemen Zimmern wurde den Gefangenen überlassen. Ihnen war der freie Zugang zum Fluß, der hinter der Festung vorbeifloß, gestattet, und nach der kritischen Lage in Budiabad und Zandeh kam ihnen ihr neues Quartier paradiesisch vor. Edmunds Mutter erholte sich
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