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Jack Morrow und das Grab der Zeit: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Jack Morrow und das Grab der Zeit: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Jack Morrow und das Grab der Zeit: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Autoren: Niel Bushnell
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Schwert aus dem Toten und starrte in die Schatten. Aus einem dunklen Winkel wuchs eine lange, schmale Gestalt empor. Als sie ihren Kopf vor Rouland verneigte, trieb ein Rauchfaden unter der gefiederten Kapuze hervor.
    »Komm«, sagte Rouland zu dem Grimnar und verließ den Abgeordnetensaal, »vor uns liegt viel Arbeit.«

1 Der Abschied
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    Der Abschied
    D er Tag, an dem Jack Morrow diese Welt verließ, war so schön, dass es nicht mehr normal war. Die Sommersonne tauchte die graue Stadt in lebhafte Farben, die ihren Niedergang und Verfall verbargen. Trotzdem nagte eine schreckliche Angst an Jack. Heute war kein Tag wie jeder andere. Ganz und gar nicht.
    »Was ist denn mit dir passiert?« Jacks Vater starrte ihn vom Friedhofseingang aus an, das Gesicht zeigte eine Mischung aus Besorgnis und Zorn.
    Jacks erschöpfter Verstand versuchte sich etwas Überzeugendes einfallen zu lassen, das ihm sein Vater im Gegensatz zur Wahrheit vielleicht glauben würde. Aber sein Vater war ein Experte, was kleine Lügen betraf. Er konnte überzeugend welche erzählen und sie problemlos erkennen, wenn man ihm welche auftischte. Lügen brachte also nichts.
    »Alles in Ordnung«, nuschelte Jack.
    Sein Vater runzelte die Stirn. »Wer war das?«
    »Dad, mir geht’s gut.«
    Sein Vater starrte auf den Bluterguss in Jacks Gesicht, auf die Blut- und Schweißflecken auf seinem T-Shirt. »War das wieder Blaydon?«
    »Ist schon gut.« Jack dachte an das Handy, das sie ihm zwischen den Schlägen abgenommen hatten, und ihm wurde ganz anders. Sein Vater hatte es ihm gekauft, und Jack brachte es nicht über sich, ihm jetzt schon davon zu erzählen. So etwas passierte ja nicht zum ersten Mal. Er zog die Aufmerksamkeit der Schulschläger öfter auf sich, als gut für ihn war. Er war anders als seine Mitschüler, die ihn nie richtig in ihrer Mitte aufgenommen hatten.
    Innerhalb der Mauern des alten Friedhofs, der in trauervollem Schatten versteckt lag, war die Luft kühler. Die ausladenden Baumkronen hielten die Wärme des aufgedunsenen Sonnenballs ab, während das graue Meer der umliegenden Londoner Hochhäuser den flüchtigen Moment der Farbigkeit verschluckte. Die trockene Luft trug das Lachen spielender Kinder mit sich, das für einen Moment das unablässige Dröhnen des Verkehrs übertönte. Es war der letzte Freudenschrei des Sommers, der letzte Moment, bevor Jacks Leben aus den Fugen geriet.
    Vater und Sohn gingen weiter und sagten beide nichts. Jacks Magen war ein Knoten. Der Moment, in dem er seinem Vater von dem Handy erzählen musste, rückte näher. Ganz automatisch setzten sie sich auf ihre übliche Bank. Vor ihnen lag das Grab, der Grabstein, der sie zueinander zog, während alles andere sie auseinanderreißen wollte.
    »Ich muss für eine Weile weggehen«, sagte Jacks Vater schließlich mit kühler Stimme.
    Plötzlich waren Jacks Sorgen wegen des Handys vergessen. »Weg? Wohin?« Dabei wusste er die Antwort bereits. Er hatte in den vergangenen Monaten die Augen und Ohren offen gehalten und kannte inzwischen das schmutzige Geheimnis im Kern seiner kleinen, verstümmelten Familie: Sein Vater war ein Dieb – und anscheinend nicht mal ein besonders guter. Die Besuche von der Polizei, von Rechtsan wälten und Sozialarbeitern konnten nur auf eines hinaus laufen: Sein Vater kam ins Gefängnis.
    »Wie lange bist du diesmal weg?«, fragte er.
    »Lange, mein Sohn.«
    »Wieso? Warum kannst du nicht einfach ein ganz normaler Vater sein?«
    »Das ist schwer zu erklären. Erwachsenenkram. Eines Tages wirst du es verstehen, Jojo.«
    »Dad, ich werde in zwei Wochen dreizehn.« Jack wurde rot vor Empörung. Niemand nannte ihn mehr Jojo. Diesen Spitznamen hatte er von seiner Mutter, und sie hatte ihn mit ins Grab genommen.
    Über ihnen legte sich ein Flugzeug gemächlich in die Kurve zum City Airport und reduzierte für die Landung unter lautem Heulen seine Geschwindigkeit. Jack sah hinauf zum Kobalthimmel, und das grelle Licht ließ seine Pupillen zu winzigen Punkten unter seinen dunklen Wimpern schrumpfen. Er war groß für sein Alter, größer als die meisten in seiner Klasse, und seine drahtige Figur ließ ihn unbeholfen und linkisch erscheinen, ganz egal wie er sich hinsetzte. Seine rot braunen Haare mussten dringend geschnitten werden; sie wa ren zu voll, zu lang für diese Hitze. Außerdem bekam er dann immer diese nicht zu bändigende Tolle. Aber Jack hatte jedes Interesse an seinem Äußeren verloren. Es war leichter, einfach nicht mehr in den
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