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Ist Schon in Ordnung

Ist Schon in Ordnung

Titel: Ist Schon in Ordnung
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der so einen leichten Schlaf hat, er hat immer ein Ohr gespitzt und ist in der Schule oft müde. Sein dunkler Schopf schaut heraus, und ich rolle eine Zeitung ganz fest zusammen und werfe sie leicht schräg wie einen Bumerang, sie flattert durch die Luft und macht eine perfekte Kurve, und Arvid fängt sie auf, bevor sie den rechten Fensterrahmen trifft. Das haben wir schon oft so gemacht.
    »Das Neueste aus Vietnam«, sage ich.
    »Sie bombardieren anscheinend wieder Hanoi.« Er gähnt und fährt sich durch die Haare, die kräftig und stark gelockt sind.
    »Das ist wohl so«, sage ich. Arvid gehört einer FNL -Gruppe in der Schule an. Zeitweise redet er von nichts anderem. Ich bin passives Mitglied, habe zu viele andere Sachen, an die ich denken muss.
    »Ich lese sie später«, sagt er, »ich habe noch was zu erledigen. Ich muss los.«
    »Jetzt? Was denn?«
    »Das siehst du, wenn es soweit ist.«
    »Wir sehen uns in der Schule«, sage ich, und er reckt hinterder Scheibe die geballte Faust zum Gruß. Ich gehe zum Wägelchen, dann drehe ich mich abrupt auf dem Absatz um, aber er ist verschwunden, und ich packe den Griff und gehe weiter den Veitvetsvingen entlang zurück zum Grevlingveien.
    Es wird heller, aber nicht viel, denn es ist Oktober, und die ersten kommen auf dem Weg zur Arbeit die Straße herunter zur U-Bahn. Ich grüße, und einer wirft einen Blick auf meine Haare und ein anderer auf meine Hose und ist ärgerlich, weil ich spät dran bin, aber ich ziehe die Schultern hoch und sage, es ist nicht meine Schuld, und in dem Moment rutschen mehrere Zeitungen herunter. Der Mann rollt mit den Augen, und ich fluche vor mich hin.
    Der alte Abrahamsen kommt heraus auf die Treppe und knallt zornig die Tür hinter sich zu. Das macht er jeden Tag, hat es immer getan, solange ich mich erinnern kann. Er arbeitet im Hafen und hat seinen Bergans-Rucksack auf. Früher wohnte er in Vika und hatte einen kurzen Weg zur Arbeit, er brauchte bloß durch das Tor zu gehen, am Westbahnhof vorbei, schon war er da, aber sie haben Vika abgerissen, und jetzt muss er jeden Morgen in die Stadt fahren, und obwohl es fünfzehn Jahre her ist, seit er umziehen musste, ist er immer noch stocksauer. Die U-Bahn ist ihm zu neumodisch, darum geht er den Trondhjemsveien hinauf und nimmt den 30er-Bus, wie er es seit 1955 getan hat.
    »Hallo«, sage ich, »keine Sekunde zu früh, lesen Sie die Zeitung im Bus«, und daraufhin grinst er und sagt:
    »Ja, weißt du, eigentlich bin ich ja gegen diese Zeitung, aber man muss sich doch auf dem Laufenden halten.«
    Das weiß ich, er ist eigentlich Sozialist, aber er ist so geizig, dass er die beiden Zeitungen Aftenposten und Arbeiderbladet gewogen und festgestellt hat, dass er bei Aftenposten für sein Geld die meisten Kilos kriegt. Er klemmt sich die Zeitung unter den Arm und ist plötzlich viel freundlicher, verschwindet die Straße hinunter, den Rucksack auf dem Rücken.
    Ich bin jetzt richtig spät dran, lege einen Zahn zu und grüße die Leute nicht mehr. Die Straße wird schmaler, die letzten Reihenhäuser an diesem Ende liegen am Rand einer Senke, in der der Dongebekken oder Condom Creek fließt, und auf der anderen Seite ziehen sich die Felder hinauf zum Frauengefängnis auf dem Gipfel. Es steht schwer und dunkel vor dem Grorud-Tal, und der Morgen kommt langsam in einem Streifen von Furuset herüber, und auf dem Hof brennt nur eine einzige Lampe. Es wirkt kalt, das Licht, mir selbst wird kalt, denn der Gedanke an so viele Frauen, die hinter diesen Mauern eingesperrt sind, wiegt schwer, und ich frage mich, woran sie beim Aufwachen denken, worüber sie beim Essen sprechen, was sie denken, wenn sie am Abend zu Bett gehen. Ich sehe Filme mit Menschen in Ketten und weiß, dass das nicht mehr stimmt, aber was sehen sie, wenn sie aus dem Fenster schauen?
    Frau Karlsen steht auf der Treppe, als ich vor dem allerletzten Haus um die Ecke biege. Sie lächelt, und mir wird klar, dass sie auf mich wartet. Das tut sie oft. In der Hand hält sie einen Briefumschlag, und als ich ihr die Zeitung gebe, steckt sie den Umschlag in die Tasche meiner Lotsenjacke und sagt:
    »Ich war ja verreist, als du Geburtstag hattest, aber besser spät als nie. Herzlichen Glückwunsch nachträglich.«
    Ich weiß nicht, dass sie verreist war, aber sie hat herausgefunden, wann ich Geburtstag habe, hat es sich gemerkt, und jetzt hat sie mir etwas geschenkt. Das ist schwierig. Nur meine Mutter schenkt mir etwas zum Geburtstag, undnoch nie war
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