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Ismael

Ismael

Titel: Ismael
Autoren: Daniel Quinn
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einem Gefängnis leben, ist ihnen völlig egal, und daß sie dabei die Welt zerstören, ebenfalls.«
    Ismael zuckte die Schultern. »Du bist wie immer pessimistisch. Vielleicht hast du recht. Ich hoffe es nicht.«
    »Auch ich hoffe es nicht, glaube mir.«
    12
    Unser Gespräch hatte nur ungefähr eine Stunde gedauert, aber Ismael schien am Ende seiner Kräfte. Ich räusperte mich einige Male, um mich zu verabschieden, aber offensichtlich hatte er noch etwas auf dem Herzen.
    Endlich sah er auf und sagte: »Du weißt, daß ich mit dir fertig bin.«
    Ich glaube, wenn er mir ein Messer in den Bauch gestoßen hätte, wäre das nicht schlimmer gewesen.
    Er schloß einen Moment die Augen. »Entschuldigung. Ich bin müde und habe mich nicht richtig ausgedrückt. Ich habe es nicht so gemeint, wie es klang.«
    Ich konnte nichts sagen, brachte aber ein Nicken zustande.
    »Ich meine nur, ich bin mit dem fertig, was ich mir vorgenommen habe. Als Lehrer kann ich dir nichts mehr geben. Trotzdem würde es mich freuen, wenn wir Freunde bleiben könnten.«
    Wieder war ein Nicken alles, was ich zustande brachte.
    Ismael zuckte die Schultern und sah sich mit trüben Augen um, als habe er vorübergehend vergessen, wo er war. Dann riß es ihn zurück, und er wurde von einem gewaltigen Niesen geschüttelt.
    »Also dann«, sagte ich und stand auf. »Bis morgen.«
    Er sah mich lange aus dunklen Augen an. Wahrscheinlich überlegte er, was ich noch von ihm wollte, war aber zu erschöpft, um zu fragen. Mit einem Grunzen und einem Nicken zum Abschied entließ er mich.

Dreizehn
    1
    Bevor ich an diesem Abend in meinem Motelbett einschlief, legte ich mir einen Plan zurecht. Der Plan war schlecht, und ich wußte es, aber mir fiel nichts Besseres ein. Ob Ismael wollte oder nicht (und ich wußte, daß er nicht wollte), ich mußte ihn aus diesem Jahrmarktzelt befreien.
    Der Plan war auch insofern schlecht, als er ausschließlich von mir und meinen bescheidenen Ressourcen abhing. Ich hatte nur eine Karte, und wenn ich sie ausspielte, stellte sie sich wahrscheinlich als Lusche heraus.
    Als ich um neun am nächsten Morgen auf dem halben Weg nach Hause durch eine kleine Stadt kam, blinkte die rote Lampe der Temperaturanzeige auf und zwang mich, am Straßenrand anzuhalten. Ich öffnete die Motorhaube und überprüfte das Öl: alles in Ordnung. Dann überprüfte ich den Kühlwasserbehälter: leer. Kein Problem. Vorausblickender Fahrer, der ich bin, hatte ich Reservekühlwasser dabei. Ich füllte den Behälter auf und startete den Wagen. Zwei Minuten später blinkte die Lampe erneut. Ich schaffte es zu einer Tankstelle mit einem Schild »Werkstatt geöffnet«, aber die Werkstatt war trotzdem zu. Immerhin, der Tankwart verstand von Autos etwa dreißigmal soviel wie ich und war bereit, einen Blick unter die Motorhaube zu werfen.
    »Der Kühlerventilator ist ausgefallen«, sagte er nach fünfzehn Sekunden. Er zeigte mir den Ventilator und erklärte, daß so etwas in der Regel nur vorkomme, wenn der Motor im Stadtverkehr zu heiß werde.
    »Vielleicht ist eine Sicherung durchgebrannt?«
    »Möglich«, sagte er. Aber es war nicht die Sicherung, denn er probierte eine neue aus, und der Ventilator funktionierte immer noch nicht. »Augenblick«, sagte er und holte einen Spannungsprüfer, mit dem er den Stecker überprüfte, über den der Ventilator mit Strom versorgt wurde. »Die Stromversorgung ist in Ordnung«, sagte er, »sieht so aus, als sei der Ventilator kaputt.«
    »Wo bekomme ich einen neuen?«
    »Hier in der Stadt nicht«, sagte er. »Nicht am Samstag.«
    Ich fragte ihn, ob ich den Wagen noch nach Hause fahren könne.
    »Ich denke schon«, sagte er, »wenn Sie nicht lange durch die Stadt fahren müssen. Sonst müssen sie anhalten und den Motor abkühlen lassen, sobald er zu heiß wird.«
    Ich schaffte es zurück, brachte den Wagen noch vor Mittag in eine Vertragswerkstatt und ließ ihn gleich dort, obwohl man mir versicherte, daß vor Montagmorgen sowieso nichts mehr geschehen würde. Jetzt mußte ich nur noch eins tun: Ich suchte einen dieser netten kleinen Geldautomaten auf und hob meine gesamte Barschaft ab. Als ich in meine Wohnung zurückkehrte, hatte ich zweitausendvierhundert Dollar bei mir - und war ansonsten völlig pleite.
    Über die vor mir liegenden Probleme wollte ich lieber gar nicht nachdenken, sie waren einfach zu groß. Wie kriegt man einen Gorilla von einer halben Tonne aus einem Käfig, aus dem er gar nicht raus will? Wie kriegt man einen
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