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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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Chlodio – vom Hunger ermattet kraftlos gegen ihn gestolpert war.
    Nichtsdestotrotz waren ein fahrender Händler und seine beiden Kinder in der schlimmen Hungersnot vor drei Jahren – Isenhart konnte sich erinnern, wie sie im Burginneren an Lederriemen gekaut hatten, während draußen Kinder und Vieh erfroren – von einem Wolfsrudel angefallen und in Stücke gerissen worden.
    Isenhart bot sich an, den Maulesel zu holen. Chlodio hatte nichts anderes erwartet, und Henrick versicherte ihm seine ewige Dankbarkeit.
    Die Eselin ließ sich bereitwillig von ihm führen. Isenhart achtete darauf, sich stets vor ihr zu befinden, um sie ruhig zu halten – und aus Vorsicht. Das letzte Mal, als Henrick sie vergewaltigt hatte, waren ihre Hinterläufe nicht um eine Antwort verlegen gewesen. Seitdem hielt Henrick Abstand, und wer ihn kannte, sah, dass er ein wenig gekrümmt ging.
    Sie hatten die Holzkohle in der Schmiede neben der Esse abgeladen, als Isenhart sich mit schmerzendem Rücken erhob. Der Pinkepank trat auf den Blasebalg, die Holzkohle zischte im Ofen. Henrick und er nahmen das schmutzige Erz, das sie jeden Nachmittag in einem dreißig Fuß tiefen Erdtrichter im Wald abbauten, und warfen es auf die Holzkohle.
    Die Schmiede befand sich am äußersten Ende des Burghofs. Im Sommer wurde sie vom Gesinde und der Familie Laurin gemieden, aber im Winter konnten sie oftmals vor Gedränge kaum arbeiten, denn die beißenden Dämpfe, die zischend aus der Esseschossen und die Luft verpesteten, wurden als wärmende Wohltat empfunden.
    Wieder kam eine Schicht Holzkohle auf das Erz. Während Walther von Ascisberg schon eine Weile über eine Methode zur Temperaturbestimmung sinnierte, war Isenhart und Henrick nur bewusst, wie unendlich und zum Zerspringen heiß der Ofen glühen musste, damit das Erz sich verflüssigte. Das wechselseitige Schichten von Holzkohle und Erz verbrannte ihnen die Haare an den Armen und raubte ihnen die Luft, die unfreiwilligen Berührungen mit dem Ofen hatten ihnen schwere Brandnaben zugefügt. Meist eiterten sie nicht, weil die Gluthitze jeden Keim zuverlässig vernichtete.
    Die Unterarme des Pinkepanks waren übersät mit hellen Strichen, auf denen kein Haar mehr wuchs. Von denen auch Isenhart bereits zwei aufweisen konnte, da ihn sein Vater seit einigen Wochen in der Schmiedekunst unterwies.
    Ida kam mit einem Bottich frisch gegärtem Bier zu ihnen. Sie war hochschwanger. Der Pinkepank schöpfte mit seinem Kelch, probierte und war zufrieden. Henrick und Isenhart griffen nach ihren Holzbechern und tranken gierig von dem Bier, das ihre Mutter gebraut hatte. Ihr Bier war das schmackhafteste weit und breit.
    In den Jahren zuvor hatte sie zwei tote Kinder zur Welt gebracht. Chlodio war außer sich vor Zorn gewesen, hatte in ihrer Kammer – Schlaflager, Tisch, ein Stuhl – alles kurz und klein geschlagen, bis er sich schließlich mangels anderer Gegenstände, an denen er seinem Schmerz und seiner Scham freien Lauf lassen konnte, Ida zugewandt hatte.
    Henrick hatte die Eselin aufgesucht, Isenhart hörte es am Wiehern des Tieres, also stellte er sich vor seine Mutter. »Fass sie nicht an«, sagte er mit einer Stimme, in der Angst und Wut sich die Waage hielten.
    Der Pinkepank war für einen kurzen Augenblick fassungslos. Eher hätte er damit gerechnet, dass der Leibhaftige in ihre Stube trat. Was nicht geschah.
    »Du kleiner, untoter Bastard«, schnaufte Chlodio.
    Und dann bezog Isenhart die Prügel seines Lebens. Der Verlust seines Bewusstseins kam wie eine Erlösung über ihn.
    Als er erwachte, beugte sich gerade ein Engel über ihn, das blonde Haar strich über sein Kinn, er konnte die blaue Färbung der Pupillen sehen. »Bin ich im Himmelreich?«, hörte er sich flüstern.
    Der Engel war gleichermaßen belustigt wie bestürzt. Die Bestürzung gewann die Oberhand. »Er ist wach«, sagte der Engel, in dem er jetzt endlich Anna erkannte, die älteste Tochter des Fürsten von Laurin. Isenhart blickte von seinem Lager zur Seite. Da war ihre jüngere Schwester Sophia, die roten Haare kurz gestutzt wie bei einem Jungen. Sie streckte ihm die Zunge heraus und versuchte zu schielen.
    Ein weiteres Gesicht beugte sich nun über ihn, es war das eines alten Mannes, über fünfzig Lenze hatten tiefe Furchen in sein Gesicht getrieben, das durch Barthaare halb verdeckt war.
    »Stirbt er?«
    Diese Stimme erkannte Isenhart, er hatte sie hin und wieder vernommen. Sie gehörte zu Sigimund von Laurin, ihrem Herrn, der sich
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