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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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Ascisbergs Lächeln lag keine Abschätzigkeit. »Die Zeiten nehmen ihren Lauf. Du wirst es noch erleben, dass Lesen und Schreiben und andere geistige Fähigkeiten mächtiger sein können als hundert Soldritter. Und ertragreicher als hundert Morgen. Und wenn es so weit ist, ist dein Stammhalter vorbereitet.«
    Von Laurin überlegte, sah noch einmal hinaus zu der Silhouette des Ascisbergs, zu dessen Füßen Walther seine Kindheit verbracht hatte, und richtete den Blick wieder auf den Freund.
    Soldrittern konnte man sich entgegenwerfen, Erde und Bäume anfassen, mit der bloßen Hände Arbeit eine ganze Landschaft verändern. Dazu brauchte man keine Buchstaben, und Wissen ließsich nicht anfassen. Fällte Wissen vielleicht einen Baum oder – viel wichtiger – füllte es den Bauch? Nein, es war nur gut für unpraktisches Gerede.
    Wozu sollte man Lesen lernen? Es gab nur ein Buch, die Heilige Schrift, und die Geistlichen besorgten das Vorlesen und Seiern. Wozu schreiben? Ein Wort war schneller gesagt als geschrieben, schreiben machte alles langsamer und komplizierter. Denn was nützte auch das gelehrteste Schreiben, wenn der Empfänger es nicht lesen konnte?
    Sigimund von Laurin fand nichts Vernünftiges an dem Anliegen seines Freundes. Aber eine Freundschaft wie die zwischen ihnen war rar, Sigimund wollte sie nicht missen, und vielleicht – wer weiß – hatte Walther wie so oft recht, auch wenn Sigimund es dieses Mal nicht glauben wollte. Außerdem würde Konrad das Lesen und Schreiben nicht zum Nachteil gereichen, wenn er, Sigimund, nur darauf achtete, dass seine Kampfausbildung neben all dem nutzlosen Tand nicht zu kurz kam.
    Also willigte er ein.
    Der Barbier trat mit dem Säugling zu ihnen. Der Kleine war ganz still, als von Laurin sich über ihn beugte und mit Blicken den kleinen Körper bemaß.
    »Er ist schwach, klein und kränklich, Herr«, sagte der grauhaarige Mann, »er wird den Winter nicht überstehen. Falls doch, muss er eiserne Härte beweisen.«
    Sigimund warf von Ascisberg einen Blick zu, der dort schlotternd in seinem viel zu weiten Kettenhemd stand und keine Miene verzog. »Also gut. Der Knabe bleibt ohne Namen. Aber wenn er im Frühjahr noch lebt, dann soll er auch ›Isenhart‹ gerufen werden.«

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3.
Anno Domini 1182

    senhart, wo steckst du?«
    Die Stimme seines Vaters riss Isenhart nur kurz aus seinen Gedanken. Er stand unter einer Eiche im Wald und hatte soeben eines ihrer Blätter zwischen Daumen und Zeigefinger zerquetscht.
    Grünlicher Saft war dabei ausgetreten. Isenhart hob den Kopf, starrte zur Eiche empor, die ihn um ein Vielfaches überragte. Ein ebenso verwegener wie einleuchtender Gedanke, der vielleicht erklären konnte, weshalb die Bäume im Herbst ihre Blätter abwarfen, kam ihm gerade, als sein Vater ihn ein zweites Mal rief und ihn daran hinderte, den folgerichtigen Schluss zu ziehen. Isenhart wartete die dritte Aufforderung besser nicht ab und ließ die Eiche Eiche sein.
    Der Pinkepank Chlodio stand neben dem rauchenden Holz, das durch eine Decke aus Erde und Gras begierig nach Luft schnappte. Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel, wie er zu sagen pflegte. Er trank den ganzen Tag über Bier und er züchtigte seine Frau und seine Kinder, ein ganz normaler Vater also.
    Isenhart fragte sich insgeheim, ob das in hundert Jahren anders sein würde. Dann kniete er sich neben seinen zwölf Monate älteren Bruder Henrick und dichtete das Holz weiter ab, damit es sich nicht entflammte. Wenn es durchs Feuer gefressen wurde, war die Arbeit dahin.
    Es gelang ihnen einigermaßen, und Chlodio gab ihnen vom Bier zu trinken, während der stechende Qualm Tränen über ihre Wangen laufen ließ.
    Chlodio wies seinen Ältesten an, den Maulesel mit dem Karren herzuschaffen, um die Holzkohle, die die Glut bald geschaffen hatte, zur Esse zu transportieren.
    Henrick täuschte Magenschmerzen vor, und als das nichts half, bemühte er zunächst Waldgeister, deren angebliche Umtriebe sein Vater mit einem Tritt in die Rippen quittierte, bis Henrick schließlich Chlodios persönlichen Albtraum bediente: Wölfe.
    Als Kind war ihr Vater in einen Zusammenstoß mit einem Wolf verwickelt gewesen. Abends, im Schein einer Wachskerze, wenn genug Bier und Met geflossen waren, wurde er nicht müde, von dem Kampf auf Leben und Tod zu berichten, den er damals überstanden hatte, obgleich sich das Gesinde einig war, dass es ein blindes, sterbendes Tier gewesen sein musste, das – ebenso erschrocken wie
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