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Isch geh Schulhof: Erfahrung

Isch geh Schulhof: Erfahrung

Titel: Isch geh Schulhof: Erfahrung
Autoren: Philipp Möller
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Dabei fängt sie mit einem unteren Kreis an und malt dann einen zweiten darüber. Bis sie fertig ist, kann es noch dauern. Ich werfe also einen Blick in ihr Matheheft.
    Ordnung war zwar noch nie meine Stärke, und auch meine Handschrift gilt bis heute eher als einzigartig denn leserlich – aber das hier? Sämtliche Seiten sind durch intensives Radieren zerknittert, das Papier ist teilweise zerrissen, es gibt keine Überschriften, kein Datum, und die Karos wurden auch konsequent ignoriert. Mir schießt durch den Kopf, dass Michelles Zahlen so aussehen, als wäre sie als Linkshänderin zur Rechtshänderin umerzogen worden. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass das früher durchaus üblich war, weil Linkshänder angeblich im Bund mit dem Teufel standen und wie Homosexuelle als abnormal galten. Da soll mir noch mal jemand sagen, früher wäre alles besser gewesen …
    Während Michelle noch mit dem Malen beschäftigt ist, steigert sich der Lärmpegel in der Klasse erneut. Ich muss eingreifen.
    »Welche Zeichen gehören zwischen die Achten?«
    Außer Ranjad meldet sich niemand. Die Schüler sehen vollkommen verwirrt aus.
    »Das hatten wir vor zwei Minuten! Kann sich wirklich niemand mehr erinnern?«
    Offensichtlich nicht. Verzweiflung macht sich in mir breit.
    »Okay, Ranjad, sag es bitte laut und deutlich für alle!«
    Michelle malt nach seiner Antwort zehn Kreuze zwischen ihre kopflosen Schneemänner und ist sichtlich erleichtert, als sie sich setzen kann. Ich schreibe ein Gleichzeichen hinter das Gebilde.
    »Wer kann das ausrechnen? Acht plus acht plus acht plus acht … und so weiter.«
    Als die Antworten auf mich einprasseln, steigt ein mulmiges Gefühl in mir auf.
    »Hundertsiebzehn?«
    »Einundzwanzig!«
    »Achttausend?«
    Die Pausenglocke läutet eine kleine Unterbrechung ein, die wir alle gut gebrauchen können. Während ich aus dem Fenster starre und überlege, wie ich weitermachen könnte, muss ich mehrmals um Ruhe bitten. Vorsichtshalber werfe ich noch einmal einen Blick ins Mathebuch, um sicherzugehen, dass ich wirklich den richtigen Schwierigkeitsgrad gewählt habe. Kein Zweifel: Das kleine Einmaleins muss in der vierten Klasse sitzen, schriftlich sollten Addition und Subtraktion mit niedrigen Tausenderwerten klappen. Dazu kommen Kenntnisse über Maßeinheiten in Länge, Geldwert, Zeit und Masse. Ich muss mir dringend einen Überblick verschaffen, wie es bei den Kindern um diese Basics bestellt ist, und schreibe daher an die Tafel: Bitte am Ende der Stunde die Mathehefte bei mir abgeben! Und weil ich gerade dabei bin, füge ich noch hinzu: Noch eine Minute Pause!
    Einige der Kids haben den Hinweis wahrgenommen. Der Großteil scheint in den letzten Minuten allerdings komplett vergessen zu haben sich in der Schule zu befinden.
    Als ich gerade dazu ansetzen will, den Sinn und Zweck der hier und heute stattfindenden Veranstaltung ins Gedächtnis zu rufen, springt mir Fatima zur Seite.
    »Herr Mülla, du musst an diese Glocke klingeln!«
    Dabei zeigt sie auf eine Art Müslischale aus Messing, die auf meinem Pult steht. Fatima bringt mir bei, wie man dem Metalltopf mit dem Holzstab einen Glockenklang entlockt.
    »Das ist also eure Klassenglocke, ja?«, beginne ich den zweiten Teil der Doppelstunde.
    »Das ist eine Klangschale«, korrigiert mich Nina. »Wenn Frau Gärtner die verwendet, müssen wir leise sein und uns hinsetzen.«
    »Danke, Nina. Dann machen wir jetzt mit Mathe weiter. Ihr habt ja schon gesehen, dass ich etwas an die Tafel geschrieben habe. Was steht denn da?«
    Ich bin zwar nicht als Deutschlehrer hier, aber neugierig, ob die Kinder genauso gut lesen können, wie sie rechnen.
    »Erhan«, rufe ich einen Jungen auf, den ich bereits kenne, weil ich an diesem Morgen mit Raik und ihm zusammengetroffen bin. Er gehört zu den Jungs, die bereits in der Grundschule einen Schnurrbartschatten haben. Seine Augenbrauen sind über der Nase zu einer Monobraue zusammengewachsen, die seinen grimmigen Blick unterstreicht. Auf seinem T-Shirt steht Hausaufgaben gefährden meine Gesundheit .
    »Lies mir doch bitte mal vor, was an der Tafel steht«, fordere ich ihn auf.
    Obwohl er in der ersten Reihe sitzt, kneift er die Augen zusammen und setzt eine angestrengte Miene auf. Hat er Probleme mit dem Lesen? Oder sollte er mal zum Augenarzt?
    »Biehtee amendeder … Suten?«
    »Stunde«, helfe ich ihm.
    »Stuhnde dei …«
    »Die.«
    »Die … isch kenne diese nächste Wort nisch.«
    »Okay, war doch schon ganz gut«, sage
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