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Isch geh Schulhof: Erfahrung

Isch geh Schulhof: Erfahrung

Titel: Isch geh Schulhof: Erfahrung
Autoren: Philipp Möller
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dann können wir ja jetzt endlich … «
    »Noch nicht!«, ruft ein Schüler aus der letzten Reihe, den ich erst jetzt als den Jungen erkenne, der mir heute früh vor die Füße gespuckt hat. »Sie haben mich noch gar nicht richtig kennengelernt. Ich bin Raik, und ich bin der Schlimmste von allen.«
    In der Tat: Raik sieht so frech aus, dass ich eine Steinschleuder in seiner hinteren Hosentasche vermute. Die blonden Haare über dem feisten Gesicht stehen zu Berge, er schaut mich grinsend an, und seine Beine bewegen sich unruhig unterm Tisch. Ich halte seinem Blick einen Moment stand und überlege, wie ich auf seine Provokation am besten reagiere.
    »Das ist ja interessant«, stelle ich betont unbeeindruckt fest. »Was ist denn so schlimm an dir?«
    »Also, ich stör immer den Unterricht, mache nie Hausaufgaben, ich verprügel andere Kinder – auch im Unterricht –, und ich verspreche dir, dass ich dich noch zum Ausrasten bringe!«
    »Na, da bin ich aber mal gespannt«, sage ich und will mit dem Unterricht fortfahren.
    »Kannst du auch, du Arschloch!«, meint er.
    Ich halte inne.
    Mit einer plötzlichen Handbewegung schiebt Raik all seine Sachen vom Tisch. Dann legt er die Füße auf seinen Tisch, verschränkt die Arme hinterm Kopf und lächelt mich entspannt an.
    »Ist der immer so?«, frage ich in die Klasse.
    Einige der Kids nicken so heftig, dass ich Angst habe, sie verrenken sich dabei die Halswirbelsäule.
    »Ich hab Frau Dremel schon öfter zum Heulen gebracht. Cool, wa?« Freude macht sich auf Raiks Gesicht breit.
    »Geht so«, sage ich, trete langsam zu ihm heran, stütze mich auf seinen Tisch und beuge mich zu ihm herunter. »Was hältst du denn davon, wenn wir dich mal in eine andere Klasse setzen?«
    Er erklärt mir, dass das nicht ginge, weil er bereits aus einer anderen Klasse komme. Auf meinen Vorschlag, ihn vom Unterricht auszuschließen, reagiert er ebenfalls lässig: Er freue sich jetzt schon aufs Computerspielen. Seine Mutter, erklärt er mir, würde ständig wegen ihm heulen, und seinen Vater kenne er nicht. Seine Tadel zählt er schon lange nicht mehr.
    »Dann hilft vielleicht nur noch ein Schulwechsel«, greife ich zu meiner letzten Waffe.
    Doch auf diese Aussage hat Raik offenbar nur gewartet. »Ich hab schon alle Grundschulen im Bezirk durch. Mich nimmt keiner mehr!«
    Ich setze mich mit einer Pobacke auf seinen Tisch, verschränke die Arme und schaue ihn einen Moment lang an. Vielleicht drehe ich den Spieß einfach mal um?
    »Weißt du was? Ich find dich eigentlich ganz cool. Ich glaube, wir werden uns gut verstehen.«
    »Ach ja?«
    Seine Augen funkeln. Er kippelt mit seinem Stuhl, stößt sich ohne Vorwarnung vom Tisch ab, fällt rückwärts auf den Boden, springt auf und rennt zum Tafeleimer. Mit einem Fuß auf dem Rand des gefüllten Tafeleimers, in dem siffige, von der Tafelkreide verfärbte Schwämme treiben, sieht er mich mit blitzenden Augen an.
    »Und?«, will er von mir wissen. »Findest du mich jetzt immer noch cool?«
    »Nein«, brüllen einige der anderen, »nicht schon wieder, Raik!«
    »Bitte nicht, Mann!«
    »Züüüüüsch, er is verrückt!«
    Als ein paar Jungs aufstehen, um ihn von der Überflutung des Klassenzimmers abzuhalten, geht Raik auf den ersten los und boxt ihm brutal in den Magen. Ich komme gerade noch rechtzeitig, um ihn von weiteren Schlägen abzuhalten. Als ich ihn am Oberarm packe, reißt er sich los.
    »Fass mich nicht an, du Wichser!«, brüllt er panisch. »Oder ich zeig dich an, klar?«
    Eine plötzliche Stille entsteht. Alle sind auf meine Reaktion gespannt. Auch ich.
    Nach einem Moment hat sich mein Puls wieder so weit beruhigt, dass ich Raik fragen kann, ob er mit dem Theater fertig sei.
    »Das war gerade der Anfang«, sagt er giftig. »Und jetzt fang endlich mit deinem Scheißmatheunterricht an, du Idiot!«
    Er macht auf dem Absatz kehrt und lässt mich stehen.
    Na gut, erst mal ignorieren. Im Umgang mit ihm brauche ich auf jeden Fall professionelle Hilfe. Aber jetzt muss ich erst mal mit dem Unterricht beginnen.
    Wie eigentlich? Mir fällt wieder ein, dass ich eigentlich gar kein Grundschullehrer bin. Immerhin weiß ich, dass ein guter Pädagoge seine Schüler dort abholt, wo sie gerade stehen. Wie wäre es also, wenn ich erst einmal den Leistungsstand der Kinder überprüfe?
    Dem Mathebuch habe ich entnommen, dass die Schüler der vierten Klasse die Grundrechenarten im Tausenderbereich beherrschen sollten – allerdings nur schriftlich. Also mache
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