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Isch geh Schulhof: Erfahrung

Isch geh Schulhof: Erfahrung

Titel: Isch geh Schulhof: Erfahrung
Autoren: Philipp Möller
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großen Pause nutze ich, um mir die Unterrichtsinhalte noch einmal anzuschauen. Als die Pausenglocke klingelt, klappe ich das Buch zu und tröste mich mit der Erkenntnis, dass ich in den ersten Stunden inhaltlich wahrscheinlich sowieso nicht viel schaffen werde. Viel wichtiger ist, dass die Schüler und ich uns erst einmal kennenlernen. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass das Verhältnis zwischen denen und mir extrem wichtig für den Verlauf und die Qualität des Unterrichts ist. Diese These habe ich vor ein paar Jahren während eines Jobs als Computertrainer für Grundschulkinder schon mal belegt.
    Damals hatte ich so gut wie gar keine Ahnung von Unterrichtsgestaltung – kein Wunder, dass mein erster Versuch in eine Katastrophe ausartete. Mit dem Wunsch, eine entspannte Unterrichtsatmosphäre herzustellen, gab ich mich locker und cool. Wie ich schnell merkte, ist das eine grandiose Art, sich ohne Umwege ins Abseits zu katapultieren. Die Kids legten es mir nämlich als Schwäche aus, dass sie mich duzen durften, und tanzten mir während des Unterrichts gnadenlos auf der Nase herum. Nachdem ich den Schülern das Versenden von E-Mails beigebracht hatte und zum Dank von zwei Sechstklässlerinnen schriftlich gefragt wurde, ob ich schwul sei und schon mal »mit ein Mann gefickt« hätte, versuchte ich die Situation zu retten, indem ich so tat, als würde mich die Frechheit nicht stören – was die Sache nur noch schlimmer machte.
    Ich nahm mir vor, es bei meinem nächsten Einsatz besser zu machen. In der zweiten Schule, an die ich als Computertrainer geschickt wurde, ging ich vollkommen anders an die Sache heran. Ich stellte mich als Herr Möller vor und machte der Klasse von Anfang an klar, wer in diesem Computerkurs der Boss war: ich. Diese autoritäre Art fiel mir anfangs überhaupt nicht leicht, aber ich war erstaunt, was sie bewirkte. Zwischen den Schülern und mir entstand ein respektvolles Verhältnis. Vor den Fragen meldeten sie sich ruhig, und schon bald erhielt ich positive Rückmeldungen von den Eltern der Kinder, genauso wie von meinen Vorgesetzten in der Computerschule.
    Ob das auch klappt, wenn ich neunzig Minuten lang alleine mit siebenundzwanzig Viertklässlern in einen Raum eingepfercht bin?, denke ich, während ich mein Equipment zusammenpacke und mich auf den Weg zum Klassenzimmer mache.
    Los geht’s, Möller!, spreche ich mir Mut zu. Du kannst das!
    »Guten Morgen«, sage ich laut und deutlich, als ich exakt mit dem Stundenklingeln den Klassenraum betrete. Auf dem grauen und schmutzigen Linoleumboden stehen ungeordnet ein paar Tische und Stühle herum. Aus den Regalen an den Wänden quellen Materialien, Wände und Fenster sind unbeholfen mit den Gemälden der Kids geschmückt. Der Klassenraum der 4e steht der Hässlichkeit des restlichen Schulgebäudes in nichts nach. Im Raum herrscht absolute Anarchie: Fast alle Kids springen wild herum, sitzen oder stehen auf Tischen, essen Süßigkeiten, tauschen Monster-Karten aus, beschimpfen sich oder malen auf der Tafel herum.
    »Hä? Was machst du hier, Herr Müller?«, fragt eine Schülerin, die ich aus der Hausaufgabenbetreuung kenne, als sie mich erblickt.
    »Ich bin euer neuer Mathelehrer«, erkläre ich ihr, trete hinter den Lehrertisch und stelle meine Tasche darauf ab. Plötzlich habe ich die ganze Aufmerksamkeit der Kids.
    »Vallah, Herr Mülla is unser neuer Mathelehrer!«
    »Iebergeil, sch’wöre!«
    »Endlisch mal eine Mann!«
    Ich freue mich zwar über die Begeisterung, aber einige Schüler scheinen jeden Moment auszuflippen – ich muss also eingreifen.
    »Wer bei drei nicht sitzt …«, fange ich an, frage mich aber bereits beim Herunterzählen, wie ich den Satz vollenden würde, wenn ich müsste.
    Glücklicherweise scheinen die Kids darüber nicht nachzudenken, sondern drängeln sich zu ihren Plätzen durch. Als alle sitzen, stelle ich mich vor die Klasse und warte noch einen kleinen Moment, bis es wirklich leise ist.
    »Guten Morgen, liebe Klasse 4e«, sage ich dann feierlich.
    »Guten Morgen, Herr Mülla!«, antworten sie im Chor.
    Das lief schon mal sehr gut. Doch eines stört mich: Ich heiße Möller und nicht Mülla, also schreibe ich meinen Namen in großen Druckbuchstaben an die Tafel und bitte ein Mädchen, den Namen vorzulesen.
    »Herr Mülla«, sagt sie klar und deutlich.
    Ich gehe zur Tafel, unterstreiche das Ö und fordere sie auf, es noch einmal zu probieren.
    »Herr Mülla«, wiederholt sie unverändert.
    »Ach so«, sage ich
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