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Isch geh Schulhof: Erfahrung

Isch geh Schulhof: Erfahrung

Titel: Isch geh Schulhof: Erfahrung
Autoren: Philipp Möller
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Juhnke traut sich kaum, mir in die Augen zu blicken. Nur die Kollegin vom Personalrat zeigt immer noch wenig Mitgefühl. Für mich persönlich tue es ihr zwar leid, erklärt sie trocken, aber insgesamt begrüße sie die Entscheidung der Senatsverwaltung sehr.
    Das Gespräch macht mir keinen Spaß, also lasse ich sie mit einem müden Lächeln stehen und sammle die Kids aus Chrissis Klasse ein. Mit denen führe ich heute noch zwei Lieder von Rolf Zuckowski auf, was Frau Juhnke mir hoch anrechnet. Nach dem Auftritt streife ich den Gitarrengurt ab und verbeuge mich vor dem Publikum, was ich in diesem Moment als symbolischen Akt des Abschieds empfinde.
    Ich verbeuge mich vor den Lehrern, die diesen Job weitermachen müssen, obwohl er nur noch wenigen Freude bereitet. Vor diesen Menschen, deren berufliche Anforderungen seit ihrem Einstieg so immens gestiegen sind, dass jeglicher Vorwurf an sie wie ein schlechter Scherz erscheint. Mit einer Mischung aus Verärgerung und Mitgefühl verneige ich mich auch vor denjenigen unter ihnen, die zu diesem Job nicht mehr in der Lage sind – oder es nie waren. Und natürlich vor denen, die trotz aller Widerstände, trotz der politischen Kontraproduktivität, trotz bildungsferner Elternhäuser und scheinbar hoffnungsloser Kinder nie vergessen haben, warum sie sich einst für diesen Job entschieden haben. Sie werden sich noch lange mit Reformen herumschlagen müssen, die entweder vollkommen an der Realität der Schulen vorbeigehen oder aber – wie JÜL und die Idee der Reformschule – nur dann sinnvoll umgesetzt werden können, wenn die finanziellen und personellen Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden. Davon ist die Schule momentan weit entfernt, und so steht zu befürchten, dass auch diese klugen Konzepte in ihrer Umsetzung an der sträflichen Vernachlässigung der Bildung seitens der Politik scheitern werden.
    Ich verbeuge mich vor den Kindern, die in den nächsten Jahren ihres Lebens ein Schulsystem durchlaufen werden, das den Anforderungen unserer Zeit schon lange nicht mehr gerecht wird. Auf viele von ihnen wird nach dieser Schulzeit eine Welt warten, auf die sie in mehreren Tausend Stunden Unterricht nicht vorbereitet wurden. Vor allem aber verbeuge ich mich vor den Kindern, die wegen ihrer sozialen Herkunft, rein statistisch gesehen, kaum eine Chance auf gesellschaftliche Teilhabe bekommen werden.
    Ich verbeuge mich auch vor den Erziehern, die sich für einen Hungerlohn von manchen Kindern terrorisieren und von einigen Eltern und vielen Lehrern minderwertig behandeln lassen müssen – bis sie sich entscheiden, den Beruf zu wechseln. Siebenundsechzigjährige Erzieherinnen, die nach einem ganzen Berufsleben in Rente gehen, habe ich jedenfalls nicht kennengelernt.
    Ich verbeuge mich auch vor der Schulleitung, in deren Arbeit ich tiefe Einblicke gewonnen habe, und wünsche Frau Juhnke und Herrn Springer viel Kraft. Die werden sie brauchen, wenn sie sich der längst überfälligen Herausforderung stellen, diese Schule in den nächsten Jahren zu einer Reformschule umzubauen. Gegen den Widerstand vieler Lehrer, die von Reformen endgültig die Schnauze voll haben; auf Befehl der Senatsverwaltung, aber ohne ausreichende Unterstützung; mit vielen Eltern, denen ein tiefergelegtes Auto mehr wert ist als die Bildung ihrer Kinder; in einem Einzugsgebiet, das bildungsaffine Eltern fluchtartig verlassen; und mit Schülern, deren Gewaltpotenzial deutlich höher ist als ihre Frustrationstoleranz.
    Als das Sommerfest vorbei ist und ich mit einigen Kollegen noch ein Abschiedsbier getrunken habe, stehe ich einen Moment lang vor dem Zaun und werde ein wenig rührselig. Eines steht nach den siebenundzwanzig Monaten, die ich nun hier gearbeitet habe, ganz sicher fest: Langweilig wird es an einer solchen Schule nie. Wer sich in seinem Beruf Action wünscht, wer gern Verantwortung für Heranwachsende unterschiedlichster Herkunft übernimmt, wer emotionale Herausforderungen sucht und über eine hohe Widerstandskraft verfügt – der ist hier genau richtig.
    Alle anderen lassen es lieber bleiben.

Danke

    E in Kopf denkt nie allein, wie Karlheinz Deschner sagt, und so konnte auch dieses Buch nur unter Mitwirkung vieler Menschen entstehen.
    Bedanken möchte ich mich zuerst bei allen Schülerinnen und Schülern, die mir im Laufe meiner Zeit als Lehrer begegnet sind. Die Arbeit mit euch war nicht immer leicht, doch hat sie meinen Horizont krass erweitert und mein Leben stark bereichert. Ich wünsche
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