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Isch geh Schulhof: Erfahrung

Isch geh Schulhof: Erfahrung

Titel: Isch geh Schulhof: Erfahrung
Autoren: Philipp Möller
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Friedrich«, sagt er grinsend. »Biste jetzt vom Assi zum Lehrer befördert worden, oder wat?«
    »Ja«, antworte ich ordnungsgemäß und leiere die kleine Geschichte meines beruflichen Werdegangs herunter. Ich erzähle ihm, wie ich nach dem Abschluss meines Studiums in den Job als Assistent der Schulleitung gestolpert bin, dort aber nur selten kopiert, sondern vor allem zwischen Herrn Friedrich und dem Kollegium vermittelt habe. Ich berichte auch von meinen Einsätzen in der Hausaufgabenbetreuung, wo ich erste Erfahrungen mit den Schülern sammeln durfte und dass mir Herr Friedrich schließlich den Job als Lehrer angeboten hat. Dann beende ich meine kleine Geschichte mit den Worten: »Ich bin also Quereinsteiger und unterrichte hauptsächlich Mathe.«
    Eine Mischung aus Verzweiflung und Erstaunen steht ihm in sein gebräuntes Gesicht geschrieben.
    »Biste verrückt?«, ruft er mit aufgerissenen Augen. »Tust dir dit hier freiwillig an?«
    »Na ja. Ich hab gute Arbeitszeiten, das Gehalt ist, sagen wir: okay – und ich lern was fürs Leben.«
    Er sieht mich wie jemand an, der im Winter barfuß über die Straße läuft.
    »Wat willste denn hier lernen? Dit is hier Hartz IV pur! Die spinnen alle!«, ruft er. »Und die Kolleginnen erst. Wenn ick die schon sehe, diese alten frustrierten Schachteln – bäh! Früher war Schule noch jut. Aber heute? Kannste allet verjessen …«
    Er schüttelt angewidert den Kopf und schnipst seine Kippe auf die andere Straßenseite. Dann dreht er sich um und stapft davon. »Komm, wir jehn rinn!«
    Auf dem Rückweg durch die Flure treffen wir einen Schüler, der beim Anblick von Herrn Geier breit lächelt. Der Junge trägt ein ausgewaschenes Kapuzen-Sweatshirt und hat einige Pfunde zu viel auf den Rippen.
    »Herr Geier, Herr Geier«, ruft er laut, doch mein neuer Kollege unterbricht ihn schnell.
    »Wat, Herr Geier? Haste keen Klassenlehrer, den de vollquatschen kannst? Außerdem hab ick dir schon tausendmal jesacht, du sollst nicht so viel futtern, wirst immer fetta! Und nu hau ab, ick unterhalte mich gerade.«
    Er tätschelt ihm die Wange.
    »Okay, Herr Geier, danke«, entgegnet der dicke Junge und läuft fröhlich davon.
    Geiers rüder Umgangston schockiert mich. In diesem Gebäude scheinen die Regeln des freundlichen Umgangs miteinander außer Kraft gesetzt zu sein.
    »Wat kickste denn wie ’n Auto?«, raunzt er mich an, grinst aber dabei. »So läuft dit hier! Mit denen musste so sprechen, die verstehen dit sonst nich!«
    »Äh … hast du denn nie Ärger für solche Kommentare bekommen, von Eltern oder der Schulleitung oder so?«, frage ich ihn verwundert.
    »Wat?« Er baut sich vor mir auf und hebt den Zeigefinger. »Ick erklär dir jetz ma wat. Erstens: Ick würde nie – nie! – een Kind valetzn. Zweetens: Friedrich, diese Pfeife, der hat mir janüscht zu sagen! Ick bin viel länger hier wie er! Der soll erstma die Vertretungspläne richtig schreiben, denn sehn wa weiter! So. Und zu die Eltern hab ick schon jesacht: Kommse her …«
    Er zieht mich am Schlafittchen zu sich herunter. Unser Größenunterschied von mindestens einem Kopf scheint ihn dabei nicht zu stören.
    »Kommse her! Sie halten Ihre Klappe, und ick halte meine, klar?«
    Ich bin erleichtert, als er mich wieder loslässt, und bringe meinen Hemdkragen in seine Ausgangsposition.
    »Wat meinste, wat bei manchen zu Hause los is?«, fährt Geier in normalem Ton fort. »Ick bin ja der Einzije hier, der zu die Eltern nach Hause jeht, wenn die Kinder nich zur Schule kommen. Oder immer ohne Essen und so. Ick fahr da hin – ohne Vorwarnung! – und denn sag ick: Sie müssen sich um Ihren Sohn kümmern! Der schwänzt, prügelt sich ständig, macht keene Hausaufgaben, hat keen Sportzeug mit – wat is da los? Wat soll aus dem werden? Wat meinste, wie die kieken, wenn de da vor der Tür stehst. Bude sieht aus wie ’n Saustall, zu acht in een Zimmer und so. Wundert dich nüscht mehr!«
    Ich weiß nicht, was ich darauf erwidern soll. Geier klopft mir wohlwollend auf die Schulter.
    »Nu hau ma rinn«, sagt er kumpelhaft, »große Pause jehn wa Kaffe trinken.«
    »Aber ich hab Aufsicht …«
    »Mann, verstehst du denn janüscht? Die schlagen sich doch eh die Köppe ein – ob de nu dabei bist oder nicht!«
    Er lässt mich stehen und taucht in der Masse der Kinder unter. Nur das Klimpern seines riesigen Schlüsselbunds ist noch zu hören, bis er in seiner Klasse verschwindet.

4
Kontrastprogramm

    N achdem Geier weg ist, muss ich
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