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Isch geh Schulhof: Erfahrung

Isch geh Schulhof: Erfahrung

Titel: Isch geh Schulhof: Erfahrung
Autoren: Philipp Möller
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geboren und aufgewachsen. Wegen ihrer dunklen Locken wird sie oft für eine Spanierin oder Italienerin gehalten. Probleme hatte sie wegen der Herkunft nur sehr selten. Ihre Schönheit und ihr gewinnendes Lächeln sind wahrscheinlich ihre stärksten Waffen im Kampf gegen Diskriminierung – was vielleicht ein bisschen schade, aber doch irgendwie tröstlich ist. Außerdem haben Nurays Eltern immer großen Wert auf Bildung gelegt, und so hat sie nach ihrem Abitur direkt mit dem Studium begonnen.
    »Manchmal ist es mir richtig peinlich, dass manche meiner Landsleute sich so verhalten«, erklärt sie.
    »Nur weil deren Eltern aus dem gleichen Land wie deine stammen?«, fragt Bernd entrüstet und stellt sein Bier lautstark auf den Tisch.
    Bernds Eltern kommen aus Korea und sind in der ersten Generation in Deutschland. Den Spitznamen Bernd haben wir ihm damals nur verpasst, weil niemand seinen koreanischen Namen aussprechen konnte. Er selbst bedient ein uraltes Klischee, das Asiaten gegenüber oft vorherrscht: Er spricht besser Deutsch als die meisten Deutschen, hat eine tadellose Schullaufbahn vorzuweisen und sein Informatikstudium mit Leichtigkeit und Bestnote abgeschlossen.
    »Ich schäme mich doch auch nicht für alle Koreaner, wenn sich mal einer danebenbenimmt!«
    Wir beschließen, dass Idiotie keine Ländergrenzen kennt und es überall auf der Welt nette Menschen gibt und auch solche, mit denen wir keine fünf Minuten verbringen wollen. Außerdem ist unsere Heimat immer noch Berlin – ganz egal, wo unsere Eltern zur Welt gekommen sind. Eine Stadt, die vor allem wegen der vielen Freaks so wunderbar bunt und vielfältig ist.
    Aber ebenso eine Stadt, in deren Bildungssystem, wie ich heute gelernt habe, einiges im Argen liegt. Es ist so marode, dass Typen wie Mr. Was-guckst-du? sowie ein Großteil der Kids an meiner Schule nur geringe Chancen haben, sich eine bessere Zukunft zu erarbeiten, als die, die sie zu Hause erleben. Damit sich das für die Kinder in meiner Klasse wenigstens ein bisschen ändert, muss ich da anpacken, wo ich sie erreichen kann: in der Schule.
    Immerhin ist mir damit klar, warum ich mir das Chaos morgen wieder antue.

5
Das Tafellineal

    N ach ein paar Wochen als Lehrer habe ich mich an das Schlimmste gewöhnt: Schüler, die verspätet oder gar nicht in den Unterricht kommen, Sprachsalat apokalyptischen Ausmaßes, Zickenkrieg unter Mitschülerinnen und gewalttätige Ausbrüche von kleinen Paschas im Unterricht, zähflüssiges Begreifen der Lerninhalte bei einem Großteil der Kids und überforderte, genervte oder resignierte Kollegen, die sich ein ganzes Schuljahr lang nach den Sommerferien sehnen.
    Die größte Herausforderung ist nach wie vor meine Matheklasse 4e, in der es in den seltensten Fällen wirklich darum geht, den Kindern Mathematik zu vermitteln. Stattdessen leiste ich hier eher Nachhilfe in den Grundregeln des friedlichen Zusammenlebens. Ich bringe ihnen bei, wie Konflikte mit Worten gelöst werden, statt sich regelmäßig die Köpfe einzuschlagen, erkläre wiederholt, dass andere nicht beleidigt werden dürfen, und schärfe den Schülern ein, wann man Bitte und Danke sagt. Und das jeden Tag aufs Neue. Die meisten von ihnen sind permanent unruhig und legen ein wahrhaft bestürzendes Sozialverhalten an den Tag.
    Manchmal läuft der Unterricht – vor allem in der 5b – zwar so gut, dass ich mit den Kindern scherze und versucht bin, mich ihnen als Philipp vorzustellen, doch an anderen Tagen treibt mich das Schulleben fast in den Wahnsinn, und ich überlege ernsthaft, den Job einfach hinzuschmeißen.
    Heute ist ein Tag der letzteren Sorte. Schon morgens in der U-Bahn kriege ich die volle Breitseite unseres gesellschaftlichen Dilemmas ab.
    »Vallah, isch ficke dein Mutter! Geh ma jetzt weg, du Opfer, ja? Is‘ meine Platz!«
    Der Halbstarke, der seinen Kumpel gerade lautstark vom Platz verscheuchen will, trägt eine glänzende Sportjacke mit dem riesigen Logo einer Edelmarke auf dem Rücken. Seine Haare sind an den Seiten abrasiert und auf dem Kopf penibel zu einer Art Bürste geformt.
    »Was, meine Mutter?«, zetert der andere, deutlich Schmächtigere der beiden. »Weg gegeht, Platz vergeht. Also halt ma jetzt dein Fresse, du Missgeburt, ja?«
    Obwohl die beiden offensichtlich Kumpels sind, beschimpfen sie sich so lange und ungeniert, bis mir unwillkürlich der Kragen platzt.
    »Ey, Jungs«, entfährt es mir. »Ihr seid hier nicht alleine!«
    Toll, Möller, den Lehrerton hast du dir ja
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