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Isau, Ralf

Isau, Ralf

Titel: Isau, Ralf
Autoren: Gerry
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unentschlossenen Geschäftsführer geangelt. Aber nun hatten sie sich die Hand gegeben. Abgemacht ist abgemacht ...
    Erst in diesem Augenblick wurde sich Karl der klaffenden Lücke am Ende des Dokuments bewusst: Ort und Unterschrift fehlten. Niedergeschmettert sank er in den Sessel. Was hatte er sich überhaupt eingebildet? Ein Schlappschwanz führt einen eigenen Buchladen. Lachhaft! Das schaffst du sowieso nicht! Die Worte seines Vaters, hundertmal gehört, hallten durch seinen Geist.
    »Herr Tru-uuutz!«, rief er in jämmerlichem Ton. Der alte Kauz hatte sich irgendwo versteckt und hielt ihn zum Narren. Es konnte nicht anders sein.
    Aber kein kichernder, sich die Schenkel klopfender Buchhändler erschien.
    Lustlos griff Karl nach dem Aktendeckel, zog ihn auf seinen Schoß und blätterte die anderen Dokumente durch, die der Buchhändler »schon vorbereitet« hatte. Unter der Generalvollmacht lag ein Anstellungsvertrag, datiert und unterschrieben. »Also bist du wenigstens nicht arbeitslos«, brummte Karl. Als Nächstes stieß er auf die Abschrift eines Testaments, ebenfalls signiert. »Meinem Geschäftsnachfolger, der sich gegenüber Herrn Notar Dr. Harribald Windig durch die mit diesem abgestimmte Legitimation ausweisen wird, vermache ich alles, was ich mein Eigen nenne«, hieß es in der Urkunde, bevor Herr Trutz seine Vermögenswerte auflistete. Mit der »Legitimation« konnte er nur die ausgefüllte und unterschriebene Generalvollmacht gemeint haben.
    »Aus der Traum«, seufzte Karl und ließ sich gegen die Rückenlehne sinken.
    Wieder wartete er. Wieder ließ sich kein Thaddäus Tillmann Trutz blicken. Vermutlich hockte der Alte in seiner Geheimbibliothek und las schmunzelnd irgendein phantastisches Buch, Koreanders siebenundsiebzig tollste Reinfälle, irgendetwas in dieser Art. Mutlos zog Karl das letzte Schriftstück aus dem Aktendeckel hervor. Es bestand aus mehreren Seiten, die mit einem zweifarbigen Bändchen zusammengeheftet waren. Darin nannte der Buchhändler die Anschrift seines Notars und listete endlose Anweisungen auf, angefangen bei A wie »Ablagesystem für Geschäftspapiere« bis hin zu Z wie »Zedernholzmöbel in der Veranda der Wohnung einmal jährlich einölen«. Das Karl wie ein Vermächtnis erscheinende Dokument endete mit einem lapidaren Satz:

    Man kann es aber auch ganz anders machen.

    Vollends verwirrt, klappte Karl den Aktendeckel zu.
    Nach etwa einer Stunde begab er sich auf die Suche nach dem Ladenbesitzer. Irgendwie musste er seinem Unmut Luft verschaffen. Man verschwindet nicht so mir nichts, dir nichts und lässt einen gerade eingestellten Mitarbeiter mit solchen Dokumenten zurück. Zumal die Vollmacht nicht einmal unterschrieben ist.
    Karl betrat das Kabinett hinter der Bücherwand. Erwartungsgemäß fand er dort nicht den vermissten Alten. Wäre ja auch zu leicht gewesen. Er lief zum nächsten Raum. Wieder Fehlanzeige.
    Durchgang für Durchgang drang Karl tiefer in das Labyrinth aus glosenden Büchern ein. Immer wieder rief er den Namen des Gesuchten, probierte es mit allen möglichen Abzweigen, aber Herr Trutz ließ sich weder blicken, noch antwortete er. Nach langem Hin und Her erreichte Karl zufällig wieder die Stelle, wo er zuvor das Tageslicht durch die Regalreihen hatte strahlen sehen, und stutzte. Hinter dem Fenster schien immer noch die Sonne.
    Karl traute seinen Augen nicht. Er musste träumen. Benommen klammerte er sich an einem Regalholm fest, weil ihm plötzlich schwindlig wurde. Das konnte nicht sein! Er hatte doch durch das Schaufenster die beiden Alten im Licht der Straßenlaterne beobachtet, den Mann, der so krampfhaft seinen Hut festhielt...
    »Wie kann hier die Sonne scheinen, wenn es draußen dunkel ist?«, presste er zwischen den Zähnen hervor. Wenn er nicht den Verstand verlieren wollte, musste er das Rätsel des sonnigen Fensters ein für alle Mal klären. Sehr vorsichtig, wie es seine Gewohnheit war, wandte er sich dem letzten Durchlass zu. Plötzlich drang ein lautes Klirren an sein Ohr.
    Karl lief es kalt den Rücken hinunter. Das Geräusch hallte immer noch nach. Es kam aus derselben Richtung wie zuvor Herrn Trutzens Stimme, klang aber viel näher – fast so, als hätte der Laden um Hilfe gerufen. Karl begann zu laufen.
    Unter anderen Umständen wäre er bestimmt darüber verwundert gewesen, mit welcher schlafwandlerischen Sicherheit er den Weg zurückfand, aber dafür fehlte ihm die Muße. Tausend Gedanken schwirrten wie Glühwürmchen durch seinen
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