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Isau, Ralf

Isau, Ralf

Titel: Isau, Ralf
Autoren: Gerry
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war, machte er einen Schritt nach vorn. Und das Dunkel lichtete sich.
    Nun stand er direkt unter einem Regalbrett, das wie ein Türsturz den oberen Abschluss des Durchgangs bildete. Er blickte in tiefe Schatten, die undeutlich Regale erkennen ließen. Merkwürdigerweise schienen diese weiter auseinander zu stehen, als es der schmale Laden zulassen dürfte. Karl wagte einen weiteren Schritt. Zu seiner Verwunderung wurde das Kabinett hinter der Bücherwand sogleich heller.
    Lag es daran, dass er den Lichteinfall zuvor mit seinem Körper behindert hatte? Wie auch immer, er stand in einem annähernd quadratischen Raum, der nach allem, nur nicht nach Pfeifentabak roch und dessen Wände mit weiteren, zum Bersten vollen Regalen bedeckt waren. Also doch eine geheime Sammlung, in der Thaddäus Tillmann Trutz seine literarischen Schätze aufbewahrt, dachte Karl. Menschenkenntnis schien der alte Kauz ja zu haben. Er werde keine Überraschung erleben, hatte er ihm schließlich prophezeit.
    Aus der Ferne hallte einmal mehr die Stimme des Ladenbesitzers herüber. »Sind Sie noch da, Herr Koreander?«
    »Warum sollte ich nicht mehr da sein?«, rief Karl zurück.
    »Und? Haben Ihre Erwartungen sich erfüllt?«
    Karl hatte gerade ein Buch aus dem Regal gezogen und fächerte die Seiten unter seiner Nase auf. Jasmin?, wunderte er sich. Noch nie hatte er ein Buch beschnuppert, das nach Jasmin roch. »Sie wurden bei weitem übertroffen«, antwortete er benommen.
    »Lassen Sie sich ruhig Zeit.«
    Er nickte, obwohl Herr Trutz ihn ja nicht sehen konnte, und schritt ehrfürchtig die Regalmeter ab. Hier und da roch er an weiteren Büchern. Die Duftnoten waren vielfältig und zum Teil ziemlich überraschend. Neben Alpenveilchen, Flieder und Rosmarin entdeckte er auch so Exotisches wie Moschus, Nardenöl und Stinkende Nieswurz. Nicht alle Werke waren also wohlriechend. Karl sehnte sich nach ein bisschen mehr Licht, um die faszinierenden Bücher genauer in Augenschein nehmen zu können.
    Als hätte ein eifriger Diener in seinen Kopf hineingelauscht und darin den unausgesprochenen Wunsch entdeckt, wurde es im Kabinett noch einmal heller. Karl hielt den goldenen Schimmer zunächst für eine indirekte Beleuchtung hinter dem Regal, aber dann machte er eine Entdeckung, die ihm die Fassung raubte.
    Es waren die Bücher, die strahlten!
    Als seien sie aus Glas!, war sein erster Gedanke, während er das vielfarbige Leuchten bestaunte. Doch dieser Eindruck trog, wie er bei genauerem Hinsehen feststellte. Die Einbände waren aus Leder, Karton oder Pergament und keineswegs durchscheinend. Das Strahlen umgab die Bücher vielmehr wie eine Aura und vermischte sich im Kabinett zu bernsteinfarbenem Licht. Bestimmt bestäubt der alte Kauz sie mit einem phosphoreszierenden Pulver, so wie bei einem Zifferblatt, redete sich Karl ein, obwohl er noch nie eine Uhr gesehen hatte, die auch nur annähernd wie diese Bücher leuchtete. Staunend las er einige der Titel. Die Buchstaben waren als Einziges schwarz und wirkten daher wie aus dem Licht herausgestanzt.
     
    Die höchst absonderliche Reise des Herrn Tuff
     
    Lebenserinnerungen eines Grashüpfers
     
    Der Fisch, der ein Vogel sein wollte
     
    Das Uyulála-Rätsel, gelöst durch Professor Engywuck
     
    Siebenhundertsiebenundsiebzig Wege zur Unvernunft
     
    Das vertrocknete Herz

     
    Es machte durchaus Sinn, dass der Duft der Bücher mit ihren Namen harmonierte, wenigstens ungefähr. Karl roch das Meer, frisch gemähtes Gras, alten Fisch, eine geheimnisvoll aromatische, ihm gänzlich unbekannte Duftnote, außerdem schales Bier und Rosenblätter. Einige der Verfasser waren ihm geläufig, aber er kannte keinen einzigen dieser Titel. Hatte Herr Trutz hier etwa wahr gemacht, wovon er selbst kaum zu träumen wagte? Er entsann sich seiner eigenen, erst vor wenigen Minuten gesprochenen Worte. Wenn man sie nur irgendwie retten könnte!
    Sein Blick wanderte weiter über die Rücken der Einbände, und dabei stieß er auf einen anderen Durchgang. Hortete Herr Trutz dort etwa noch mehr »verbotene Früchte«? Diente sein Antiquariat womöglich nur als Tarnung für eine geheime Bibliothek, in der er die bedrohten Werke unbequem gewordener Geister aufbewahrte? Voller Wissbegier betrat Karl den nächsten Raum.
    Dieser war noch größer als das benachbarte Kabinett und besaß sogar zwei weitere Durchgänge. Auch hier lag ein betäubendes Potpourri unterschiedlichster Gerüche in der Luft, das in seiner Gesamtheit aber ein wenig
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