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Isau, Ralf

Isau, Ralf

Titel: Isau, Ralf
Autoren: Gerry
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gerade so, als hätte er an seinem Bewerber Gefallen gefunden. Karl brauchte einen Moment, um seine Fassung zurückzugewinnen, dann aber bewunderte er mit wachsender Verzückung die Schätze des Thaddäus Tillmann Trutz.
    Auf den ersten Blick war der Laden nicht besonders groß, nur ein schmaler Schlauch, in dem die dunklen Holzregale bis an die Decke reichten. Die Bücher standen in doppelten Reihen auf den Brettern. Wer sich hier auskennen wollte, musste schon ein phänomenales Gedächtnis besitzen. Da gab es winzige Büchlein, kaum größer als eine Streichholzschachtel, und riesige Folianten, dicke Schwarten und dünne Fibeln, wertvolle Einbände in Leder und Gold ebenso wie schlichte Pappkladden oder ziehharmonikaartige Leporellos. Karl entdeckte Seltenes und Banales, Anspruchsvolles wie auch Triviales, Heiteres und Hochdramatisches, Prosa und Poesie, Leichtes und Besinnliches. Auch auf den Holzdielen türmten sich überall Bücher. Herr Trutz schien keine hohe Meinung von der Ausdauer der Behördenschnüffler zu haben, denn die vom Staat als unbedenklich eingestuften Werke füllten hauptsächlich die Regale in der Nähe des Eingangs. Je tiefer Karl jedoch in den Laden vordrang, desto häufiger stieß er auf Werke verfemter Literaten. Als er das Buch eines von ihm sehr geschätzten Denkers entdeckte, nahm er es in die Hand, hielt es sich unter die Nase und fächerte die Seiten auf.
    »Was um Himmels willen tun Sie da?« Herr Trutz beobachtete ihn von seinem Sessel aus, und seine Stimme klang belustigt.
    Karl lächelte verlegen. »1st nur so eine Angewohnheit von mir: Ich schnuppere gerne in die Bücher hinein. Ist Ihnen noch nie aufgefallen, dass jedes einen anderen Geruch hat?«
    »Was Sie nicht sagen!«
    »Probieren Sie's mal. Viele meiner Lieblingswerke kann ich mit verbundenen Augen erkennen.«
    Herr Trutz schüttelte den Kopf. »Ich habe mindestens schon drei Dutzend Bewerber in meinem Antiquariat empfangen, aber keiner war wie Sie.«
    Karl hätte gerne gewusst, ob das nun gut oder schlecht für ihn war, aber er traute sich nicht diese Frage zu stellen. Mit einem schiefen Grinsen wandte er sich wieder dem Regal zu, stellte das beschnupperte Buch zurück und setzte seine Erkundung fort.
    Der Gang zwischen den Regalen endete vor einer quer stehenden Bücherwand. Dieses Regal war offenbar ein Raumteuer, denn Karl bemerkte nun rechts einen schmalen Durchgang. Während er so tat, als lese er die Titel der Bücher unmittelbar daneben, beugte er sich zur Seite und spähte in das finstere Rechteck. Das Dunkel dahinter verschluckte wie ein schwarzer Samtvorhang alles Licht. Karl wagte einen kleinen Schritt nach rechts und beugte sich vor. Ein Frösteln überlief ihn, als er noch immer nicht erkennen konnte, was sich hinter dem Durchgang verbarg. Wie war das möglich? So riesig konnte der sich anschließende Raum doch nicht sein. Der Schein der Lampe musste auf irgendetwas fallen, einen Tisch, einen Stuhl, einen Karton – oder vielleicht auf ein weiteres Regal? Versteckte der absonderliche Alte seine kostbarsten Schätze etwa dort, in diesem undurchdringlichen Dunkel?
    »Kommen Sie zurecht?«, hallte Herrn Trutzens Stimme durch den Laden.
    Karl zuckte zusammen, er fühlte sich ertappt. Als er sich zu dem Buchhändler umdrehte, erschrak er abermals. »Ach du liebes bisschen!«
    Herr Trutz saß noch immer in seinem Ohrenbackensessel, lächelte freundlich und paffte blaue Wolken in die Luft – aber etwas stimmte trotzdem nicht. Karl blinzelte. Fast kam es ihm so vor, als blicke er verkehrt herum durch ein Fernrohr. Der Laden wirkte mit einem Mal wie in die Länge gezogen. Rauchte der Alte etwa irgendein verbotenes Zeugs, das die Sinne benebelte?
    »Alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte der Buchhändler.
    »J-ja«, stotterte Karl und deutete auf den dunklen Durchgang. »Was befindet sich eigentlich hinter diesem Regal hier?«
    »Das hängt immer von dem ab, der drum herumgeht.«
    Der geheimnisvolle Ton, in dem Herr Trutz das gesagt hatte, bestätigte einmal mehr den Eindruck eines schrulligen alten Mannes. Karl trat vor die dunkle Öffnung. Noch immer konnte er nichts dahinter sehen. Wieder lief ihm ein Schauer über den Rücken.
    »Nur zu«, drängte Herr Trutz aus dem Hintergrund. »Wenn Sie der sind, für den ich Sie halte, werden Sie keine Überraschung erleben.«
    Kann er nicht einen Moment seinen Mund halten!? Am liebsten hätte Karl sich laut beklagt, aber das verbot ihm der Anstand. Zögerlich, wie es seine Art
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