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Isau, Ralf

Isau, Ralf

Titel: Isau, Ralf
Autoren: Gerry
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Straße zu überqueren, als Stiefelgetrappel ihn aufs Neue zurückschrecken ließ.
    Ein Trupp uniformierter Männer in braunen Mänteln war wie aus dem Nichts erschienen, jedenfalls stellte es sich für Karl so dar. Abgelenkt von dem energisch winkenden Alten, hatte er die Parteigänger erst bemerkt, als sie in Viererreihen aus der Straßenmündung gekommen waren. Rasch drückte er sich an die Ziegelsteinmauer, als wolle er mit ihr verschmelzen, und wagte nicht, sich zu bewegen. Vor seinen Augen verwandelten sich die durch Gleichschritt und Chorgesang vereinten Marschierer in ein furchteinflößendes, vielbeiniges, vielköpfiges braunes Wesen. Im Takt der knallenden Stiefel zog es auf der Straße an ihm vorüber. Atemlos starrte Karl auf die in Verzückung erstarrten Gesichter, die wie dämonische Wasserspeier ihr Volkslied hervorsprudelten und darin die einzigartige Schönheit des Vaterlands beschworen. Derlei Zurschaustellungen nationaler Gesinnung erfüllten ihn stets mit Unbehagen. Er verharrte an der Mauer, bis der lärmende Hundertfüßler vorübergezogen war. Als der Kopf des Untiers um die nächste Straßenecke bog, schien ein Zauber von ihm abzufallen: Der Leib löste sich wieder in viele braune Mäntel auf, die nach und nach verschwanden. Karl atmete auf und huschte über die Straße.
    Vor der Ladentür blieb er stehen und las andachtsvoll die in verspielten Buchstaben eingeschliffene Inschrift auf der gläsernen Füllung.
       

       
    Was würde er dafür geben, seinen eigenen Namen dort geschrieben zu sehen!
    Unvermittelt wurde die Tür aufgerissen, und ein helles Messingglöckchen bimmelte Karl in die Wirklichkeit zurück. Vor ihm stand, leicht vorgebeugt, der alte Mann mit dem Stock. Er war nicht viel größer als einen Meter sechzig und trug einen dunkelblauen Wollanzug mit braunen Lederknöpfen, ein weißes Hemd und eine farbenfrohe Seidenweste. Mit seinem wilden weißen Haarschopf erinnerte er Karl an Ludwig van Beethoven, wobei das Gesicht deutlich runzliger war und weniger zornig anmutete als das auf unzähligen Büsten verewigte Konterfei des berühmten Komponisten. Eher schon wirkte es neugierig, auch ein wenig ungeduldig.
    Durch ein Monokel musterte der Buchhändler seinen Besucher eindringlich, und erst nachdem er sich dessen Aufmerksamkeit einigermaßen sicher war, sagte er: »Sie sind ein sehr zögerlicher junger Mann, Herr Koreander.«
    Karl stutzte. »Sie kennen meinen Namen?«
    »Wenn Sie der Bewerber sind, mit dem ich mich für heute Abend verabredet habe, dann schon.«
    »Ja ... der bin ich ... aber ...«
    »Das ist prächtig! Und ich bin der, dessen Namenszug Sie da gerade auf der Tür bewundert haben wie die Signatur eines alten Meisters. Ich dachte schon, Sie wären zu Stein erstarrt.«
    Karls Augenbrauen zogen sich über seiner runden Brille zusammen. Meinte der kauzige Alte das etwa ernst? Er schüttelte die ihm dargebotene Hand und hörte sich stammeln: »Es tut mir Leid. Ich ... habe mich verspätet. Die Straßenbahn ...«
    Herr Trutz schüttelte den Kopf. »Jetzt kommen Sie erst mal rein. Hier draußen kann es auf die Dauer ziemlich ungemütlich werden, wie Sie ja wohl schon bemerkt haben.«
    Hatte er damit den eisigen Wind gemeint? Oder die grölenden Braunhemden? Herr Trutz blieb seinem Gast eine Erklärung schuldig und machte auf dem Absatz kehrt, um wieder zu dem hochlehnigen Sessel zurückzutippeln. Umständlich ließ er sich in das wuchtige Möbel sinken, in dem er ein wenig verloren wirkte. Von einem runden Beistelltischchen nahm er aus einem Alabasteraschenbecher eine gebogene Meerschaumpfeife, die einen silbernen Deckel mit Lochmuster besaß und farblich wunderbar mit dem ins Gelbliche spielenden Alabaster harmonierte. Während er ein paar blaue Wölkchen in die Luft paffte, musterte er den Bewerber mit unverhohlener Neugier.
    Karl war dem Ladenbesitzer gerade weit genug gefolgt, um weder zu aufdringlich noch übermäßig scheu zu wirken. Er atmete den aromatischen Tabakgeruch ein und ließ seinen Blick durch den schmalen Raum schweifen. Nichts in diesem Laden schien neu zu sein. Eine schüsselformige Deckenlampe aus mattiertem Glas tauchte alles in dämmriges gelbes Licht. Die knarrenden Holzdielen waren abgescheuert und stellenweise von kleinen, fadenscheinigen Teppichen orientalischer Machart bedeckt. Die Regalböden bogen sich unter ihrer Last, der Tresen neben dem Ohrenbackensessel sah antik aus, und die Registrierkasse hätte gut und gern dem Frühwerk von
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