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Isartod

Isartod

Titel: Isartod
Autoren: Harry Kämmerer
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Großstadtjugend fand das vielleicht gerade hip. Er sah sich selbst eine Arschbombe von der Brücke in den Eiskanal machen. Lange her. Oder wie Mader sagte: andere Zeiten.
    »Die Frage ist, Hummel, wo ham’s die Frau reingschmissn?«
    »Woanders auf alle Fälle.«
    »Warum?«
    »Weil man von hier deutlich das Gitter sieht. Wenn einer eine Leiche in die Isar schmeißt, will er ja, dass sie weg ist. Und nicht, dass sie nach fünf Metern gleich hängen bleibt.«
    Mader nahm einen Stock und schleuderte ihn in den breiten Kanal, von dem der Eiskanal abzweigte. Bajazzo wollte schon losspurten, wurde aber unsanft von der Hundeleine gebremst. Maders Augen folgten dem Stock. Er verpasste die Abzweigung knapp, blieb an der Böschung hängen. »Woher kommt die Leiche?«, überlegte er laut.
    »Maximal vom Wehr hinter der Großhesseloher Brücke.«
    Mader nickte. »Des probiern ma aus. Aber heut nimmer.«
    ABPFIFF
    Ja, Polizisten haben auch ein Privatleben. Und durchaus unterschiedliche Vorstellungen von gelungener Freizeitgestaltung.
    Mader saß im Kino. Stadtmuseum. Der Typ an der Kasse kannte ihn und ließ immer auch Bajazzo rein. OhneKarte. Mader war ganz erregt. Die letzten Minuten von Belle de Jour im Original. Catherine Deneuve und Michel Piccoli. »Was hat er, was ich nicht habe?«, dachte Mader.
    Gerade wurde in der Allianz-Arena das Spiel abgepfiffen. Zankl war schweißgebadet. So was hatte er noch nicht erlebt. 7 : 0 gegen Hannover 96. Ein Schlachtfest. Kollektiver Siegestaumel. Er stieg mit seinen Kumpels in die völlig überfüllte U-Bahn, um nach Schwabing zu fahren. Das musste gefeiert werden. We are the Champions!
    Hummel war gerade heimgekehrt. Er war im Eiskalt , einer Krimibuchhandlung im Glockenbachviertel, auf der Lesung eines amerikanischen Thrillerautors. Sehr cool. Er stand auf diese hardboiled Sachen. Mann, wenn die Typen wüssten, wie banal der Kriminaleralltag ist. Aber das wäre echt sein Traum. Zu schreiben und damit den Lebensunterhalt verdienen. Den Berufsalltag nur noch als Archiv benutzen für ein spannendes Ermittlerleben auf dem Papier. Träum weiter, Hummel!
    Hummel ging ins Wohnzimmer. Das war durchaus bemerkenswert, ausstattungsmäßig. Alle Wände waren mit Billy belegt, bis knapp unter die hohe Altbaudecke. Nicht die Billys waren erstaunlich, sondern ihr Inhalt. Ein paar Tausend Bücher. Hohe Literatur? Lyrik? Shakespeare, Goethe, Pynchon? Nein. Natürlich Krimis. Abgespart von den schmalen Lippen seiner mageren Kriminalerexistenz. Hummel war nicht knickerig, wenn es um seine Hobbys ging. In wichtige Dinge investierte er. Sein Leben – das private – stand auf zwei Säulen: Krimis im Wohnzimmer, Soulplatten im Schlafzimmer. Die dritte Säule wäre vielleicht noch sein Kühlschrank in derWohnküche. Zu dem er sich jetzt wieder bewegte. Er holte sich ein Bier heraus und setzte sich auf das Fensterbrett.
    Blick in die Nacht. Auf die Straße. Sein Privatkino. Jeder Tag ein neuer Film. Auch die Kulissen immer anders. Man musste nur genau hinsehen. Die Bushaltestelle nur wenige Meter weiter. Palmers-Plakate. Derzeit glänzte ein makelloser Frauenkörper in mintfarbener Unterwäsche im Leuchtkasten. Mint. Merkwürdig. Kalt und heiß zugleich. Die Frau auf dem Plakat bestand fast nur aus Strümpfen. Kein Gesicht. Dr. Fleischer fiel ihm wieder ein. Wie sie ihn auffordernd angesehen hatte. Warum kam er jetzt auf sie und nicht auf Beate? Hummel nahm einen großen Schluck Augustiner. Dann setzte er sich an den Küchentisch, wo sein aufgeschlagenes Tagebuch lag.
    Liebes Tagebuch,
    ich habe beschlossen, mit dem Träumen aufzuhören. Ich werde jetzt zur Tat schreiten. Und, sei beruhigt, ich werde es nicht hinter deinem Rücken tun. Du wirst all meine Gedanken lesen können.
    Ich werde ein Buch schreiben, dessen Tiefe und Originalität Beate in Ehrfurcht erstarren lässt, wenn sie es dann liest. Das sie dazu bewegt, in mir endlich das zu sehen, was ich bin: ein tiefsinniger Mann voller Fantasie, der es versteht, weit in die menschliche Seele hineinzuschauen. Es muss natürlich ein hammerharter Fall sein, um den meine Ermittlergedanken in dem Buch kreisen. Mindestens ein Serientäter. Mindestens!
    So, das war ja schon mal ein Anfang. Ein guter Vorsatz. Schriftlich festgehalten. Verbindlich. Hummel machtesich noch ein Bier auf. Er steckte sich eine Zigarette an und setzte sich wieder ans offene Fenster. Er sah in die Nacht hinaus. Frau Palmers war schon schlafen gegangen.
    FÜR FREUNDE: DOSI
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