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Irisches Tagebuch

Irisches Tagebuch

Titel: Irisches Tagebuch
Autoren: Heinrich Böll
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Schokolade. Das Heft hatte den vielversprechenden Titel ›Bat Man‹, und auf dem Titel sah man einen dunkel maskierten Mann an Hausfassaden hochklettern.
    Einsam auf dem kleinen Bahnhof im Moor blieb der lächelnde Junge zurück. Der Stechginster blühte, die Fuchsienhecken hatten schon Knospen; wilde grüne Hügel, Torfhaufen; ja, grün ist Irland, sehr grün, aber sein Grün ist nicht nur das Grün der Wiesen, auch das Grün des Mooses, gewiß hier, hinter Roscommon , auf Mayo zu, und Moos ist die Pflanze der Resignation, der Verlassenheit. Verlassen ist das Land, es entvölkert sich langsam, aber stetig, und uns — keiner von uns hatte diesen Streifen Irland je gesehen, je das Haus besichtigt, das wir irgendwo im Westen gemietet hatten — , uns wurde ein wenig bang: vergebens suchten die Frauen links und rechts der Eisenbahn nach Kartoffeläckern, Gemüsefeldern, nach dem frischen, weniger resignierten Grün des Salats, dem dunkleren der Erbse. Wir teilten den Riegel Schokolade und versuchten, uns mit ›Bat Man‹ zu trösten, aber der war wirklich zu bad. Er kletterte nicht nur, wie er auf dem Titelblatt versprochen hatte, an Hausfassaden hoch; offenbar war es eines seiner Hauptvergnügen, Frauen im Schlaf zu erschrecken; auch konnte er, indem er seinen Mantel ausbreitete, durch die Lüfte davonfliegen, Millionären Dollars abnehmen, und seine Taten waren in einem Englisch beschrieben, das nicht auf kontinentalen Schulen und nicht auf den Schulen Englands und Irlands gelehrt wird; stark war ›Bat Man‹ und schrecklich gerecht, aber hart, und er konnte gegen Ungerechte sogar grausam sein, schlug er doch auch gelegentlich jemandem die Zähne ein, welcher Vorgang in schöner Lautmalerei mit Skrietsch überschrieben war. Keinen Trost bot ›Bat Man‹.
    Blieb uns ein anderer Trost: Unser rothaariger Schaffner erschien und notierte uns lächelnd zum fünftenmal . Dieser geheimnisvolle Vorgang des häufigen Notierens ließ sich erklären. Wir hatten wieder eine Provinzgrenze überschritten und waren im County Mayo angelangt. Nun haben die Iren eine merkwürdige Gewohnheit; wenn der Name der Provinz Mayo genannt wird (es sei lobend, tadelnd oder unverbindlich), sobald nur das Wort Mayo fällt, fügen die Iren hinzu: » God help us !« Es klingt wie die Antwort in einer Litanei: »Herr, erbarme dich unser !«
    Der Schaffner entschwand mit der feierlichen Versicherung, daß er uns nicht noch einmal würde notieren müssen, und wir hielten auf einem kleinen Bahnhof. Auch hier wurde ausgeladen, was an allen anderen Bahnhöfen ausgeladen worden war: Zigaretten, nichts sonst. Schon hatten wir uns angewöhnt, an der Größe der ausgeladenen Zigarettenballen die Größe des Hinterlandes abzuschätzen, und wie ein Blick auf die Karte bewies, stimmte unsere Kalkulation. Ich ging durch den Zug in den Packwagen, um nachzusehen, wieviel Zigarettenpakete dort noch lagerten. Ein kleinerer und ein großer Ballen lagen noch dort, und so wußte ich, wieviel Bahnhöfe noch zu passieren waren. Der Zug war beängstigend leer geworden. Achtzehn Personen zählte ich, wir allein waren sechs davon, und es schien uns, als führen wir schon eine Ewigkeit durch Torfhalden, Moor, und noch immer nicht war das frische Grün des Salats zu sehen, nicht das dunklere der Erbse oder das bittere der Kartoffel. Mayo, flüsterten wir leise. God help us !
    Wir hielten, der große Ballen Zigaretten wurde ausgeladen, und über das schneeweiße Gitter des Bahnsteiges blickten dunkle Gesichter, beschattet von Schlägerkappen, Männer, die eine Autokolonne zu bewachen schienen; auch an anderen Bahnhöfen waren mir solche aufgefallen, Autos und die lauernden Männer; jetzt erst erinnerte ich mich, wie oft ich sie vorher schon gesehen hatte. Sie kamen mir vertraut vor, wie die Zigarettenpakete, wie unser Schaffner und die kleinen irischen
    Güterwagen, die nur wenig mehr als halb so groß sind wie die englischen und kontinentalen. Ich ging in den Packwagen, wo unser rothaariger Freund auf dem letzten Zigarettenballen hockte; vorsichtig die englischen Vokabeln benutzend, so wie Anfänger im Jonglieren mit Porzellantellern umgehen mögen, fragte ich ihn, welche Bedeutung diesen dunklen Männern mit den Schlägerkappen zukomme, welches der Zweck ihrer Autos sei; ich erwartete irgend etwas Folkloristisches: ins Moderne übertragene Entführung, Raubüberfall, aber die Antwort des Schaffners war verblüffend einfach:
    »Das sind Taxis«, sagte er, und ich atmete
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