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Irisches Tagebuch

Irisches Tagebuch

Titel: Irisches Tagebuch
Autoren: Heinrich Böll
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Frauen, die Tätigen dieser Erde, in diesen Kneipen kein Platz ist: hier ist der Mann allein mit seinem Whiskey, weit entfernt von all den Unternehmungen, auf die er sich notgedrungen eingelassen hat, Unternehmungen, die den Namen Familie, Beruf, Ehre, Gesellschaft tragen: bitter ist der Whiskey, wohltuend, und irgendwo westlich, 4000 Kilometer Wasser bis dahin, und irgendwo östlich, zwei Meere zu überqueren bis dahin — gibt es solche, die an Tätigkeit und Fortschritt glauben. Ja, es gibt sie; so bitter ist der Whiskey, wohltuend; der bullige Wirt reicht das nächste Glas in die Koje hinein. Nüchtern sind seine Augen, blau: er glaubt an das, woran die, die ihn reich machen, nicht glauben. Im Holzwerk der Kneipe, in Täfelung, Wandung der Einzelsäuferkoje, sitzen Witze und Flüche, Hoffnungen und Gebete der anderen; wie viele mögen es sein?
    Schon ist zu spüren, wie sich der Caisson — die Einzelsäuferkoje — immer tiefer auf den dunklen Grund der Zeit senkt: vorbei an Wracks und Fischen, aber auch hier unten gibt es keine Ruhe mehr, seit die Tiefseetaucher ihre Geräte entwickelt haben. Auftauchen also, Luft holen, und wieder einsteigen in die Unternehmungen, die Ehre, Beruf, Familie, Gesellschaft heißen, bevor der Caisson von den Tiefseetauchern angebohrt wird. » Wieviel ?« Geldmünzen, viele, in die harten, blauen Augen des Wirtes geworfen.
    Immer noch war der Himmel mit der Vielfalt der Graus gefiedert, keines von den unzähligen irischen Grüns zu sehen, als ich auf die andere Kirche zuging. Nur wenig Zeit war vergangen: im Kircheneingang stand der Bettler, und die Zigarette, die ich ihm in den Mund gesteckt hatte, wurde ihm gerade von Schuljungen aus dem Mund genommen, sorgfältig geköpft, damit kein Krümelchen Tabak verlorenging, der Rest wurde vorsichtig in die Rocktasche des Bettlers gesteckt, die Mütze wurde ihm abgenommen — wer wird, auch wenn er beide Arme verloren hat, mit der Mütze auf dem Kopf das Haus Gottes betreten? — , die Tür wurde ihm aufgehalten, schwer klatschten die leeren Rockärmel gegen den Türrahmen: naß waren sie und schmutzig, als habe er sie durch die Gosse geschleift, aber da drinnen fragt niemand nach Schmutz.
    So leer, so sauber und so schön war St. Patrick’s Cathedral; voller Menschen, voller Kitsch war diese Kirche, und sie war nicht gerade schmutzig, aber schusselig: so sehen in kinderreichen Familien die Wohnzimmer aus. Einige Leute — ich hörte, einer davon sei ein Deutscher, der so die Segnungen deutscher Kultur über Irland ausbreitet — müssen in Irland viel Geld an Gipsfiguren verdienen, aber der Zorn gegen den Kitschfabrikanten wird schwach denen gegenüber, die vor seinen Erzeugnissen beten; je bunter, desto besser; je kitschiger, desto besser; möglichst »wie das Leben selbst« (Vorsicht, Beter: denn das Leben ist nicht »wie das Leben selbst«).
    Eine dunkelhaarige Schönheit mit dem Trotz eines beleidigten Engels im Gesicht betet vor der Statue der heiligen Magdalena; grün ist die Blässe dieses Gesichts: aufgezeichnet werden diese Gedanken und Gebete in dem Buch, das ich nicht kenne. Schuljungen mit Hurlingschlägern unter dem Arm beten den Kreuzweg ab; Öllämpchen brennen in dunklen Winkeln vor dem Herzen Jesu, vor der little Flower , vor St. Antonius, Franziskus: hier wird Religion bis zur Neige ausgekostet; der Bettler sitzt in der letzten Bank und hält sein epileptisch zuckendes Gesicht in den Raum, in dem noch Weihrauchwolken hängen.
    Neu und bemerkenswert sind als Errungenschaften der Devotionalienindustrie der Neon-Heiligenschein um Mariens Haupt und das phosphoreszierende Kreuz im Weihwasserbecken, das im Dämmer der Kirche rosig leuchtet. Wird wohl in dem Buch getrennt aufgezeichnet werden, wer hier vor Kitsch, wer in Italien vor Fra Angelicos Fresken gebetet hat?
    Immer noch starrt die schwarzhaarige Schönheit mit grünblassem Gesicht auf Magdalena, immer noch zuckt das Gesicht des Bettlers: sein ganzer Körper ist vom Schütteln befallen, das Schütteln verursacht ein leises Klimpern der Münzen in seiner Tasche; die Jungen mit den Hurlingschlägern scheinen den Bettler zu kennen, scheinen auch das Zucken des Gesichts, das leise Lallen zu verstehen: einer von ihnen greift in des Bettlers Tasche, und auf der schmutzigen Jungenhand liegen vier Geldstücke: zwei Pennies , ein Sixpencestück und ein Threepencestück . Ein Penny und das Threepencestück bleiben auf der Jungenhand, der Rest klimpert in den Opferstock: hier
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