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Irisches Tagebuch

Irisches Tagebuch

Titel: Irisches Tagebuch
Autoren: Heinrich Böll
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überfütterten Säuglings verleiht; auf dem Kontinent serviert man den Tee dünn, aber aus kostbarem Porzellan, hier gießt man aus ramponierten Blechkannen gleichgültig ein Engelsgetränk zu des Fremden Labsal, und spottbillig dazu, in dicke Steinguttassen.
    Das Frühstück war gut, der Tee des Ruhmes würdig, und kostenlos hinzu gab es das Lächeln der jungen Irin , die ihn servierte.
    Ich blätterte in der Zeitung und fand als erstes einen Leserbrief, der forderte, daß Nelson so hoch da droben gestürzt und durch eine Muttergottesstatue ersetzt werden müsse. Noch ein Brief, der Nelsons Sturz forderte, noch einer...
    Acht Uhr war es geworden, Gesprächigkeit flammte auf, bezog auch mich ein: ich wurde mit Worten überschüttet, von denen ich nur ein einziges verstand: Germany. Ich beschloß, freundlich, aber bestimmt, mit der Waffe des Landes, mit dem Sorry , zurückzuschlagen, das kostenlose Lächeln der schlampigen Teegöttin zu genießen, bis ein plötzliches Brausen, ein Donnern fast, mich aufschreckte. Konnte der Zugverkehr auf dieser merkwürdigen Insel so lebhaft sein? Das Donnern hielt an, artikulierte sich, der vehemente Einsatz zum Tantum ergo wurde von Sacramentum — veneremur cernui an klar und sauber hörbar, bis zur letzten Silbe ausgesungen klang es über die Westland Row aus der St.-Andreas-Kirche gegenüber, und so, wie die ersten Tassen Tee so gut waren wie die vielen, die ich noch trinken würde — in verlassenen, schmutzigen kleinen Nestern, in Hotels und an Kaminfeuern — , so blieb auch der Eindruck einer überwältigenden Frömmigkeit, wie sie kurz nach dem Tantum ergo die Westland Row überschwemmte: so viele Menschen würde man bei uns nur nach der Ostermesse oder nach dem Weihnachtsgottesdienst aus der Kirche kommen sehen: aber die Beichte der Ungläubigen mit dem scharfen Profil hatte ich noch nicht vergessen.
    Acht Uhr morgens war es erst, Sonntag, zu früh noch, den Gastgeber aus dem Schlaf zu wecken: doch der Tee war kalt geworden, im Café roch es nach Hammelfett, die Gäste rafften Kartons und Koffer zusammen, strebten ihren Omnibussen zu. Lustlos blätterte ich im ›Irischen Digest‹, übersetzte mir stockend einige Anfänge von Artikeln und Kurzgeschichten, bis eine Einzeilenweisheit auf Seite 23 mich aufmerksam machte: ich verstand den Aphorismus lange, bevor ich ihn mir hatte übersetzen können: unübersetzt, nicht in Deutsch gefaßt und doch verstanden, wirkte er fast noch besser als ins Deutsche übertragen: Die Friedhöfe, stand da, liegen voller Menschen, ohne die die Welt nicht leben konnte.
    Diese Weisheit schon schien mir eine Reise nach Dublin wert zu sein, und ich beschloß, sie tief in meinem Herzen zu verschließen, für die Augenblicke, in denen ich mir wichtig vorkommen würde (später erschien sie mir wie ein Schlüssel zu dieser merkwürdigen Mischung aus Leidenschaft und Gleichmut, zu jener wilden Müdigkeit, mit Fanatismus gekoppelten Wurschtigkeit , der ich so oft begegnen sollte).
    Kühle, große Villen lagen hinter Rhododendron, hinter Palmen und Oleandergebüsch versteckt, als ich mich entschlossen hatte, trotz so barbarisch früher Zeit den Gastgeber zu wecken: Berge wurden im Hintergrund sichtbar, lange Baumreihen.
    Acht Stunden später schon wurde mir von einem deutschen Landsmann kategorisch erklärt: »Hier ist alles schmutzig, alles teuer, und Sie werden nirgendwo eine richtige Karbonade bekommen«, und schon verteidigte ich Irland, obwohl ich erst zehn Stunden im Lande war, zehn Stunden, von denen ich fünf geschlafen, eine gebadet hatte, eine in der Kirche gewesen war, eine mich mit dem Landsmann stritt, der ein halbes Jahr gegen meine zehn Stunden setzte. Ich verteidigte Irland leidenschaftlich, kämpfte mit Tee, Tantum ergo, Joyce und Yeats gegen die Karbonade, die für mich um so gefährlicher war, als ich sie gar nicht kannte (erst als ich längst wieder zu Hause war, mußte ich im Duden nachschlagen, um sie zu identifizieren: Gebratenes Rippenstück las ich dort), dunkel nur ahnte ich, als ich gegen sie kämpfte, daß es ein Fleischgericht sein müsse - aber mein Kampf war vergebens; wer ins Ausland geht, möchte die Nachteile des eigenen Landes — oh, diese Hetze zu Hause! — zwar gern missen, dessen Karbonaden aber mitnehmen; wahrscheinlich wird man nicht ungestraft in Rom Tee trinken, sowenig wie man ungestraft — es sei denn bei einem Italiener — in Irland Kaffee trinkt. Ich gab den Kampf auf, fuhr im Bus zurück und bewunderte
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