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Irisches Tagebuch

Irisches Tagebuch

Titel: Irisches Tagebuch
Autoren: Heinrich Böll
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Wechselstuben in Dublin erst um halb zehn öffnen — haben wir nur die leichten, doch hier nutzlosen Scheine, wie sie aus der Notenpresse der Bank deutscher Länder kommen: Fuggers Gesicht hat keinen Kurs in Mittelirland.
    Noch habe ich den Schrecken, der mich in Dublin überfiel, nicht ganz vergessen: Als ich auf der Suche nach einer Wechselmöglichkeit den Bahnhof verließ, wäre ich fast von einem knallroten Auto überfahren worden, dessen einziger Schmuck ein prägnantes Hakenkreuz war. Hat jemand Lieferwagen des ›Völkischen Beobachters‹ hierhin verkauft, oder hat der ›Völkische Beobachter‹ hier noch eine Niederlage? Genauso sahen die Autos aus, die ich noch in Erinnerung hatte; aber der Fahrer des Autos bekreuzigte sich, als er mich freundlich aufforderte weiterzugehen, und beim näheren Zusehen klärte sich alles auf. Es war nur die Swastika Laundry , die ihr Gründungsjahr, 1912, deutlich sichtbar unter dem Hakenkreuz aufgemalt hatte; doch die bloße Möglichkeit, es hätte eines jener Autos sein können, genügte, mir den Atem zu nehmen.
    Ich fand keine Bank offen, kehrte entmutigt zum Bahnhof zurück, schon entschlossen, den Zug nach Westport fahrenzulassen, denn ich konnte die Fahrkarten nicht bezahlen. Es blieb uns die Wahl, ein Hotelzimmer zu nehmen, auf den nächsten Tag, den nächsten Zug zu warten (denn der Nachmittagszug würde keinen Anschluß mehr an unseren Bus haben) oder auf irgendeine Weise ohne Fahrkarten in den Zug nach Westport zu kommen; diese irgendeine Weise fand sich: Wir fuhren auf Kredit; der Bahnhofsvorsteher in Dublin, gerührt von dem Anblick dreier übernächtigter Kinder, zweier verzagter Frauen und eines ratlosen Vaters (vor zwei Minuten erst dem Hakenkreuzauto entkommen!), rechnete mir vor, daß die Hotelnacht soviel kosten würde wie die ganze Eisenbahnfahrt nach Westport: Er notierte meinen Namen, die Anzahl der auf Kredit beförderten Personen, drückte mir tröstend die Hand und gab dem Zug das Abfahrtszeichen.
    So gelangten wir auf dieser merkwürdigen Insel in den Genuß dieser einzigen Art eine Kredits, den wir noch nie bekommen und zu bekommen versucht hatten: den Kredit einer Eisenbahngesellschaft.
    Doch leider gab es im Speisewagen kein Frühstück auf Kredit; der Versuch, es zu bekommen, scheiterte: Fuggers Physiognomie, wenn auch auf tadellosem Banknotenpapier, überzeugte den Oberkellner nicht. Wir wechselten seufzend das letzte Pfund, ließen uns die Thermosflasche voll Tee und einen Packen belegter Brote geben. Den Schaffnern aber blieb die harte Pflicht, merkwürdige Namen in ihre Notizbücher zu schreiben. Es geschah einmal, zweimal, dreimal, und es entstand für uns die bange Frage: Werden wir einmal, zweimal oder dreimal diese einzigartigen Schulden bezahlen müssen?
    Der neue Schaffner, der in Athlone zustieg, war rothaarig, eifrig und jung; als ich ihm gestand, keine Fahrkarten zu haben, ging ein Leuchten des Erkennens über sein Gesicht. Offenbar waren wir ihm avisiert, offenbar wurden unsere Namen und unser Kredit sowie die Anzahl der auf Kredit beförderten Personen von Station zu Station durchtelegrafiert .
    Vier Stunden lang noch hinter Athlone schlängelte sich der Zug, der jetzt zum Personenzug geworden war, zu immer kleineren, immer westlicheren Stationen durch. Die Glanzpunkte seines Haltens waren die Städte, die noch zwischen Athlone (9000 Einwohner) und der Küste liegen: Roscommon und Claremorris mit soviel Einwohnern, wie drei städtische Mietskasernen sie haben, Castlebar , die Hauptstadt der Provinz Mayo, mit viertausend und Westport mit dreitausend Einwohnern; auf einer Strecke, die etwa der Entfernung Köln-Frankfurt entspricht, nimmt die Bevölkerungsdichte immer mehr ab, dann kommt das große Wasser und dahinter New York mit dreimal soviel Einwohnern wie der ganze Freistaat Irland, mit mehr Iren, als in den drei Provinzen hinter Athlone leben.
    Klein sind die Stationen, hellgrün die Bahnhofsgebäude, schneeweiß die Umzäunungen gestrichen, und auf dem Bahnsteig steht meistens ein einsamer Junge, der sich aus Mutters Tablett und einem Lederriemen einen Bauchladen gemacht hat: drei Tafeln Schokolade, zwei Äpfel, ein paar Rollen Pfefferminz, Kaugummi und ein Comic; einem dieser Knaben wollten wir unseren letzten silbernen Schilling anvertrauen, doch die Wahl war schwierig. Die Frauen plädierten für Äpfel und Pfefferminz, die Kinder für Kaugummi und Comic. Wir schlossen einen Kompromiß und kauften das Comic und eine Tafel
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