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Irisches Tagebuch

Irisches Tagebuch

Titel: Irisches Tagebuch
Autoren: Heinrich Böll
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erleichtert auf. Taxis gibt es also auf jeden Fall, so sicher, wie es Zigaretten gibt. Der Schaffner schien meinen Schmerz erkannt zu haben: er bot mir eine Zigarette an, ich nahm sie gerne, er gab mir Feuer und sagte vergeißungsvoll lächelnd: »In zehn Minuten werden wir am Ziel sein .«
    Pünktlich laut Fahrplan waren wir zehn Minuten später in Westport. Hier wurde uns ein feierlicher Empfang zuteil. Der Bahnhofsvorsteher persönlich, ein großer und würdiger alter Herr, postierte sich freundlich lächelnd vor unser Zugabteil und hob zur Begrüßung einen großen, ziselierten Messingstab, das Zeichen seiner Würde, an die Mütze. Er half den Damen, half den Kindern, winkte einen Träger herbei, drängelte mich zielsicher, aber unauffällig in sein Büro, notierte meinen Namen, meine irische Adresse und riet mir väterlich, mich nicht der Hoffnung hinzugeben, daß ich in Westport mein Geld gewechselt bekäme. Er lächelte noch milder, als ich ihm meine Fuggerporträts zeigte, sagte: »A nice man, a very nice man«, indem er auf Fugger deutete, und beschwichtigte mich:
    »Es hat ja Zeit«, sagte er, »es hat wirklich Zeit, Sie werden schon zahlen. Beunruhigen Sie sich nicht .«
    Noch einmal nannte ich ihm den Wechselkurs, aber der würdige alte Mann wiegte nur leise seinen Messingstab hin und her und sagte: »Ich würde mir keine Sorgen machen .« (I shouldn’t worry ). (Wobei uns die Plakate geradezu auffordern, sich Sorgen zu machen. Denken Sie an Ihre Zukunft. Sicherheit über alles! Sichern Sie Ihre Kinder!)
    Aber noch machte ich mir Sorgen. Bis hierher hatte der Kredit gereicht, aber würde er weiter reichen, für zwei Stunden Aufenthalt in Westport, für zweieinhalb Stunden Omnibusfahrt bis zum Ziel, durch Mayo — God help us ?
    Ich konnte den Bankdirektor noch aus seiner Wohnung herausklingeln; er zog die Augenbrauen hoch, denn es war sein freier Nachmittag; ich konnte ihn auch — und seine Augenbrauen senkten sich — von der relativen Schwierigkeit meiner Situation überzeugen: einiges Geld, und doch keinen Pfennig in der Tasche! Aber von der Kreditwürdigkeit meiner Fuggersammlung konnte ich ihn nicht überzeugen. Er hatte wohl irgend etwas von Ost- und West-Mark gehört, von dieser Währungsdifferenz, und als ich, rechts unterhalb Fugger, Frankfurt zeigte, sagte er - er muß in Geographie eine Eins gehabt haben — : »Es gibt auch ein Frankfurt in der anderen Hälfte Deutschlands«; da blieb mir nur noch übrig — was ich nicht gerne tat — , den Main gegen die Oder auszuspielen, aber er hatte offenbar in Geographie nicht Summa cum lande gehabt, und solche feineren Unterschiede waren ihm, auch angesichts des amtlichen Wechselkurses, eine zu schmale Basis für einen größeren Kredit.
    »Ich muß das Geld nach Dublin schicken«, sagte er. »Das Geld«, sagte ich, »so wie es ist ?« »Natürlich«, sagte er, »was soll ich denn hier damit ?«
    Ich senkte das Haupt: Er hatte recht, was sollte er damit?
    »Wie lange wird es dauern«, sagte ich, »bis Sie aus Dublin Bescheid haben ?«
    »Vier Tage«, sagte er.
    »Vier Tage«, sagte ich, » God help us !«
    Das wenigstens hatte ich gelernt. Ob er mir dann auf dieses Päckchen hin einen Kredit gewähren könne, einen kleinen? Er blickte nachdenklich auf Fugger, auf Frankfurt, auf mich, öffnete die Kassenschublade und gab mir zwei Pfundnoten.
    Ich schwieg, unterschrieb eine Quittung, bekam eine von ihm und verließ die Bank. Natürlich regnete es, und mein people erwartete mich hoffnungsvoll an der Bushaltestelle. Hunger sprach aus den Blicken, die fast schon schmachtend waren, die Erwartung starker männlicher, starker väterlicher Hilfe, und ich entschloß mich, zu tun, worauf sich der Mythos der Männlichkeit gründet, ich entschloß mich, zu schwindeln. Ich lud alle mit großer Geste zum Tee ein, zu Schinken und Eiern, Salat — wo kam er bloß her? — , zu Keks und Eiskrem und war glücklich, nach bezahlter Zeche noch eine halbe Krone übrig zu haben. Das langte gerade noch für zehn Zigaretten, Zündhölzer und einen silbernen Schilling Reserve.
    Noch wußte ich nicht, was ich vier Stunden später wußte: daß man auch Trinkgelder auf Kredit geben kann, und als wir erst am Ziel waren, am Rande von Mayo, fast am Achill Head , von wo es bis New York nur noch Wasser gibt — da trat der Kredit erst in rechte Blüte, schneeweiß war das Haus gestrichen, marineblau die Fensterrahmen, im Kamin brannte das Feuer. Es gab als Begrüßungsmahl frischen
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