Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Irgendwann passiert alles von allein

Irgendwann passiert alles von allein

Titel: Irgendwann passiert alles von allein
Autoren: Philipp Mattheis
Vom Netzwerk:
fester.
    »Das gibt’s gar nicht. Der kleine Mongo hat gesagt, er war drinnen.«
    »Vielleicht hat er dich verarscht«, sagte Schenz.
    Leo brummte. Er hob ein Stück vergilbtes Zeitungspapier vom Boden auf und wickelte es um seine Hand. Er schlug zu. Die kleine Scheibe links neben der Tür klirrte dumpf, als sie zerbrach. Ein Splitter hatte sich in Leos Knöchel gebohrt. Er saugte das Blut auf und griff mit der anderen Hand in das Haus hinein.
    »Da ist ein Schlüssel. Er steckt von innen!«
    Die Tür knarzte und ging auf. Wir standen im Hausflur. Die Luft war kühl und roch moderig. Schenz zog seinen Kapuzenpulli über die Nase. Es ging los.
    Das Licht hier drinnen war irgendwie matt, weil die Fensterscheiben schmutzig waren. Der Flur war leer. Staub überzog den gefliesten Boden, die unverputzten Wände und die Sperrholztüren wie feiner Schnee die Straßen an einem Januartag. Keine Möbel standen hier. Sam ging links in das große Zimmer, aus dem am meisten Licht in den Flur drang. Es war der Raum mit der Terrassentür, den wir vom Garten aus gesehen hatten. Durch den Raum war eine Wäscheleine quer gespannt. Eine verblichene Schürze hing daran und trotzte träge |27| dem Verfall. Sam flüsterte schließlich: »Hier ist n-n-nichts. Es ist alles leer.«
    Leo schritt den Raum einmal der Länge und einmal der Breite nach ab, als wolle er ihn vermessen. Schenz kramte eine Zigarette aus seiner Hosentasche hervor und zündete sie an. Er zitterte. Jetzt standen wir vier in einem Kreis, zogen der Reihe nach an der Zigarette und suchten mit unseren Augen die Wände ab. In der Ecke lag eine Axt.
    Als wir aufgeraucht hatten, sagte Leo: »Hier ist wirklich nix. Gehen wir weiter.«
    Auch die übrigen Räume waren leer. In der Toilette fehlte die Sitzbrille und auf den Fliesen lagen Kieselsteine und Schutt. Dahinter, schräg gegenüber des Wohnzimmers, ragten Rohre aus der Wand, die vergeblich auf einen Anschluss warteten. Die Wände waren nicht verputzt. Dann waren wir durch. Warum waren hier keine Möbel? Warum zum Teufel lässt jemand ein Haus bauen und zieht dann nicht ein? Ich dachte an den Teufel, an die Hölle und dann an den Film ›Nightmare on Elmstreet‹, den ich vor einem Jahr mit Leo gesehen hatte. Und dann, dass Leo damals noch daheim gewohnt hatte und wir zusammen auf die Schule gegangen waren und dass Sam…
    Schenz hielt mir eine Zigarette vors Gesicht. Sam und Leo wollten auch eine. Normalerweise verschenkte Schenz keine Zigaretten. Und wenn doch, dann beschwerte er sich darüber, dass wir alle immer bei ihm schnorren würden, was aber überhaupt nicht stimmte. Jetzt sagte er allerdings nichts und gab uns allen eine.
    |28| »Das ist geil«, sagte Schenz mit belegter Stimme. »Das wird unser Geheimnis.«
    »Ist a-aber auch u-u-unheimlich«, sagte Sam.
    Schenz zuckte mit den Schultern.
    Leo warf seine Zigarette auf den Boden und trat sie aus. »Wir waren noch nicht oben. Vielleicht ist da mehr.«
    Er wartete nicht auf uns, stieg auf die Holztreppe und wir folgten ihm.
    »Leise!«, flüsterte Sam, aber es half nichts. Unter unseren Schritten ächzten die Stufen. Oben standen wir vor einer Sperrholztür mit einem Sicherheitsschloss. Der Schlüssel steckte. Leo drehte ihn einmal herum, und als sich die Tür nicht gleich bewegte, half er mit seinem Fuß nach.
    Unsere Nasen hatten sich mittlerweile an den Modergeruch gewöhnt, doch hier war etwas anders. Es roch nach Menschlichem: nach Lavendel, Kaffee, Schimmel und irgendwie auch nach Schweiß. Der kleine Flur war mit Perserteppichen ausgelegt, die Wände mit altmodischen bunten Tapeten bezogen. Auf einer Kommode stand ein graues Telefon. Ich hob den Hörer ab. Die Leitung war tot.
    Wir gingen in Richtung Licht, dort wo ein Stockwerk tiefer der Raum mit den Rohren war.
    Wir standen in einer komplett ausgestatteten Küche mit Backofen, Herd, einem kleinen Tisch und Stühlen, bunten Topflappen, einer Schürze und einer Kaffeemaschine, in deren Kanne Schimmel wucherte. Alles war so arrangiert, als hätte jemand diesen Raum schlagartig |29| verlassen, als wäre das Leben des Zimmers mit einem Male stehen geblieben und seitdem dem Verfall ausgesetzt.
    Leo öffnete einen der Wandschränke und fand Teller. Er riss all die übrigen Türen auf und fand Tassen, Töpfe und Besteck. Auf dem Tisch lag eine aufgerissene Kekspackung. Einige Kekse fehlten, über den anderen wuchs Schimmel. Daneben stapelten sich aufgerissene Briefumschläge, deren Weiß längst in Gelb
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher