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Irgendwann passiert alles von allein

Irgendwann passiert alles von allein

Titel: Irgendwann passiert alles von allein
Autoren: Philipp Mattheis
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und sie gaben sich die Hand, und er sagte »Johannes« und wir gaben uns die Hand. Ich fand dieses dauernde Beim-Namen-Nennen ein bisschen pseudowichtig, aber ich musste sagen, dass es funktionierte: Jeder, den Leo beim Namen nannte, kam sich in diesem Moment wichtig vor, sogar ich, obwohl ich ja wusste, dass das irgendwie ein Trick war.
    Leo setzte sich auf den Boden und öffnete seinen Seesack. Seit er von der Schule geflogen war und ihn seine Eltern vor die Tür gesetzt hatten, weil er immer wieder ungefragt alle Leute zu einer Party bei sich zu Hause eingeladen hatte, die dann mit seiner Erlaubnis in alle Zimmerpflanzen geascht hatten, trug er immer ein paar Klamotten bei sich. Er schlief abwechselnd bei Freunden. Er ging nicht mehr zur Schule, er wohnte nicht mehr daheim – er war der freieste Mensch geworden, den wir kannten. Er war wie eine Pflanze, der man den Ziehstock genommen hatte.
    »Sag bloß, du hast was?«, fragte Sam.
    Anstatt zu antworten, kramte Leo aus seinem Seesack eine handballgroße gläserne Bong hervor.
    |20| »Du hast was. Du hast was. Sag es, komm, du hast was.«
    »Nerv ihn nicht«, sagte Schenz. »Lass ihn doch erst mal ankommen. Er hat schon was, oder?«
    »F-fick dich, Schenzi. Ich weiß, er war beim Zafko. Leo, du warst beim Zafko und hast eingekauft, stimmt’s?«
    Leo stellte die Bong auf den Boden und füllte sie mit Wasser, das er in einer Plastikflasche mitgebracht hatte. Er blickte grinsend jedem von uns ein paar Sekunden in die Augen. Dann sagte er leise, doch bestimmt: »Ich hab was.«
    »Jaaa!«, schrie Sam und wuschelte Leo durch die Haare.
    Leo entfaltete ein Stück Papier auf dem Boden. Er nahm eine Zigarette und fuhr einmal kurz mit der Zungenspitze darüber, sodass ein feuchter Streifen zurückblieb. An diesem brach er die Zigarette längs auseinander und bröselte den Tabak auf das Papier. Unsere Augen verfolgten jede seiner Bewegungen. Aus seiner Hosentasche holte er einen in Alufolie eingewickelten Klumpen hervor.
    »Wie viel ist das?«, fragte Sam.
    »So zehn Gramm.«
    »Zehn Gramm? Zehn Gramm!«
    »Zehn Gramm«, murmelte Schenz. »Das reicht mindestens eine Woche. Wenn wir zu viert sind   … Oder vielleicht zehn Tage, wenn   … Ach, ist ja auch egal.«
    Unter der Alufolie kam ein braunes, knetbares Stück zum Vorschein. Leo hielt die Spitze über die Flamme |21| des Feuerzeugs, und kurz bevor das Stück selbst zu brennen begann, rieb er mit seinem Daumen kleine Stückchen ab und verteilte sie auf dem Tabak. Seine Finger fuhren mehrmals durch den Tabak, in dem nun kleine braune Klümpchen klebten. Schließlich stopfte er das Ganze in den vasenförmigen Behälter der Bong, zündete es an und zog. Im Wasser blubberte der Rauch und schoss dann in ihn hinein. Nachdem eine gewaltige Rauchschwade aus seinem Mund in den Spätnachmittagshimmel emporgestiegen war, reichte er Sam die Bong und lehnte sich an die Betonwand.
    Schenz strich lächelnd seine langen, strähnigen Haare hinters Ohr zurück und sein beinahe dreieckiges Gesicht kam zum Vorschein.
    »Mach schneller«, sagte er und Sam brachte nur ein glucksendes »Fick dich« hervor, weil sein Mund bereits auf der Öffnung der Bong klebte.
    Nachdem jeder von uns an der Reihe gewesen war, wurde es still. Für eine Weile schwiegen wir, während die Sonne immer tiefer sank.
    Leos Kopf ruhte an der Wand, er blickte in den Himmel. Er sagte: »Habt ihr von dem Haus gehört?«

|22| Zwei
    Es war Mitte Mai. Und wenn die Luft auch noch kühl war, so trieb doch schon die Sonne die letzten Kältereste des Winters aus den Betonblöcken der Halfpipe, auf denen wir jeden Nachmittag saßen. Die S-Bahn donnerte im 2 0-Minuten -Takt Richtung München.
    Wir hingen rum an diesem Nachmittag, an dem der Sommer begann, weil wir nichts zu tun hatten und weil wir mit nichts etwas zu tun haben wollten.
     
    Leo setzte eine bedeutungsschwere Miene auf. Diesen Gesichtsausdruck hatte er sich im letzten Monat antrainiert. Ich hatte es genau beobachtet: Er verwendete ihn immer, wenn er glaubte, etwas Wichtiges oder Geheimnisvolles zu erzählen. Erst sah er uns allen der Reihe nach in die Augen, weil er wusste, dass wir nun noch gespannter darauf wurden, was Leo wohl sagen würde. »Es gibt da ein Haus in der Blumenstraße.« Er machte eine Pause. »So ein altes, abgefucktes Haus. Da wohnt keiner mehr drin. Steht leer seit Jahren. Hat mir gestern so ein kleiner Typ aus meiner Siedlung erzählt.«
    Ich wollte »cool« sagen, brachte aber nur
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