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Irgendwann passiert alles von allein

Irgendwann passiert alles von allein

Titel: Irgendwann passiert alles von allein
Autoren: Philipp Mattheis
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»gul« heraus. |23| Immer wenn ich gekifft hatte, war meine Zunge schwerer als meine Gedanken und ich nuschelte.
    »Gehen wir dahin!«, sagte Leo.
    Schenz zögerte. »Ich treffe später noch Sina.«
    »Sina«, fuhr ihn Sam an. »Immer Sina, Sina, Sina. D-d-du hängst nur noch mit der rum. Jeden Tag.«
    Schenz sagte nichts. Wir wussten, dass Sina ausflippte, wenn Schenz mehr als eine Viertelstunde zu spät kam. Vergangene Woche war sie plötzlich an der Halfpipe aufgetaucht und hatte ihm eine Szene gemacht, weil er eine Verabredung mit ihr vergessen hatte.
    »Es ist ja nicht weit von hier. Wenn wir gleich losgehen, sind wir in einer Stunde zurück.«
    Leo wickelte die Bong in eine Plastiktüte und packte sie wieder zu seinen Klamotten in den Rucksack. Sam trank den Eistee aus und warf den Tetrapak auf den Asphalt.
    Wir gingen los. Sam und ich fuhren langsam auf unseren Skateboards, während Schenz und Leo zu Fuß gingen. Schenz erzählte Leo, dass er und Sina vorgestern zusammen im Wald gewesen waren und dass er nun einen Mückenstich am Arsch habe, der wie verrückt jucke.
     
    Ich kannte die Blumenstraße vom Zeitungsaustragen. Sie lag eine Viertelstunde zu Fuß hinter dem Bahnhof und ging von der Hauptstraße ab. Sie war etwa 300   Meter lang. Nach der Hälfte machte sie einen Knick und endete in einer Sackgasse, was ungewöhnlich war, denn in ganz Meining gab es keine andere Straße, die ein |24| totes Ende besaß. Spießerträume aus den Siebzigern standen hier, mit Fassaden aus dunklem Holz. Es waren kleine Häuser, komfortabel genug für eine Kleinfamilie: Garage, Vorgarten, Hintergarten, ein Balkon. Brusthohe Hecken, eingefangen von dunkelgrünen Maschendrahtzäunen, umrahmten die Grundstücke.
    Wir bogen nochmals um die Ecke und blickten auf das Ende der Straße. Der Verkehr der Hauptstraße war nur noch leise zu hören. Ich blinzelte. In einem Fenster sah ich schemenhaft eine Frau bügeln. Dreimal blickte ich zu ihr hinauf. Dreimal war ihr Kopf über die Wäsche gebeugt.
    »Muss hier sein«, sagte Leo und deutete auf ein Haus. Eine Hecke, doppelt so hoch wie die übrigen, wucherte dort über den Gehsteig. Das Grundstück war mir nie aufgefallen, weil es nicht anders aussah als andere Häuser in Meining. Nur auf den zweiten Blick bemerkte ich den verwahrlosten Zustand von Garten und Gebäude auf.
    Vor uns stand ein ganz normales Einfamilienhaus, wie man sie zu Massen in den Sechzigern oder Siebzigern in Deutschland gebaut hatte. Nicht besonders klein, nicht besonders groß. Zwei Stockwerke, eine Garage, dunkelbraune Dachziegel. Die Fenster im ersten Stock waren von altmodischen Gardinen verhangen.
    »Woher weißt du, dass da niemand mehr wohnt?«, fragte Sam.
    »Weiß ich nicht. Hat der Typ aus meiner Siedlung erzählt. Er war vor drei Tagen drinnen, weil ein Kumpel von ihm hier in der Straße wohnt. Er hat gesagt, dass |25| das Haus seit Jahren leer steht. Früher sollen da zwei Schwestern gewohnt haben. Aber niemand weiß, was mit denen passiert ist.«
    »Und w-w-enn er gelogen hat? Vielleicht w-w-wohnt doch noch jemand da?«
    »Ist doch scheißegal«, sagte Schenz und kicherte. »Dann sagen wir halt: Entschuldigung, wir haben uns in der Tür geirrt.«
    Leo ging über die gepflasterte Einfahrt zu einer Gartentür und drückte die Klinke. Die Tür bewegte sich nicht.
    »Das w-w-war’s dann wohl«, sagte Sam.
    Doch anstatt umzukehren, ging Leo links durch ein kleines Schlupfloch in der Hecke in den Vorgarten hinein, der um das Haus herum führte. Wir folgten ihm. Der Garten war ungepflegt. Das Gras stand kniehoch, Löwenzahn wucherte darin und mehrere Fliederbüsche ragten weit in den Rasen hinein. Jetzt waren auch die letzten Geräusche der Straße verschwunden. Es war still. Wir standen in einem geheimen Garten. Die Hecken verdeckten die Sicht von außen. Sam stolperte über einen Maulwurfshügel. Wir gingen ums Haus herum und sahen eine Terrasse. Auf den Steinen stand ein Liegestuhl aus Plastik. Flechten bedeckten die Sitzfläche. Die Glasscheibe der Terrassentür war trübe. Regen und Wind hatten sie mit einem Schleier aus Dreck belegt. Schenz presste sein Gesicht gegen die Scheibe.
    »Und?«, flüsterte Sam.
    »Nix«, sagte Schenz.
    |26| »Leise, l-l-leeeise!«, bedeutete Sam ihm mit dem Finger auf dem Mund.
    »Ich kann nichts erkennen«, sagte Schenz immer noch ziemlich laut.
    Wir bogen um die andere Ecke und standen vor einer Haustür. Leo rüttelte an der Klinke. Sie war verschlossen. Er rüttelte
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